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Mode – eine Weiblichkeitshülle

Das optische Ereignis der Woche: „Plötzlich obszön: der Flieder“ in der Bar jeder Vernunft – Modenschau von Fiona Bennett und Lisa D., den Kostümbildnerinnen der „Opera Jonglage“  ■ Von Thorsten Schmitz

Wie benommen noch – und brav – sitzen die Gaffer auf den Holzstühlen. Und brauchen sehr viel länger als einen Augenblick, um das zu tun, was über Wohl und Wehe einer Premiere entscheidet: applaudieren. Der Zauber hatte gewirkt. Eine Premiere, wie sie sonst nicht auf dem Programm des Spiegelzelts steht. Nur für eine (Montag-)Nacht tauchte „Plötzlich obszön: der Flieder“ auf, eine so genannte Modenschau von Fiona Bennett, 27, und Lisa D., 37. Der kryptische Titel fürs Defilee löste seine Suggestionskraft ein: eine knappe Stunde kecke Kleiderkreationen und blaue, orange, beige Stoff-Abenteuer, Musikspektakel und Hüte-Feuerwerk, Schuh-Performance und Off-Theater der Güteklasse A.

Dafür geschuftet haben Lisa D. und Fiona Bennett bis an den Rand physischer Erschöpfung; es bleibt ihr Geheimnis, daß die Inszenierung davon nichts erkennen ließ. Dafür geackert haben auch 30 Freunde, die backstage die Models umkleideten, Pailletten auf Hüte fummelten, nachts meterweise roten Samt um den Eingang drapierten, morgens um zwei einen Voile bügelten... Viel zu schnell war der Spuk einer Prêt-à-porter verpufft, und Otto Sander konnte sich gar nicht mehr einkriegen: Begeistert küßte er die Hand einer Darstellerin. All die anderen fashion victims und Normalos, Mode-Voyeure und (Lebens-)Künstler, Laufsteg- Spanner und Berufslästerer taten es dem Schauspieler gleich: Lob allenthalben. Nur Jim Avignon fand das Ganze „zu kommerziell“.

Eine bloße Modenschau hatte niemand beguckt; dafür allein tönte die Musik von FM Einheit zu schrill. Es waren vier in einer, und jede stahl der anderen die Show. Die composition nocturne bestand aus: Kleidern, Hüten, Schuhen, Musik. Blasse Wörter für solche Ingredienzen. Die Zäsur zwischen den Kollektionen bildeten Rebecca und Bobo. Zwei Kindfrauen, die hinter einem Voile inmitten Bergen weißer Wäsche jeweils die Roben-Skulptur fanden, die ihnen auf den Leib genäht war – und sie zur Übermutter verklärte. Nur phasenweise ließ sich wahrnehmen, was da gespielt wurde, denn die Modenschau lief planmäßig parallel.

Gegen Ende zerschnitt Rebecca, eine Mischung aus Vamp, Queen und Lust, mit einem Metzgermesser den Voile, zog alle Aufmerksamkeit auf sich. Und stolzierte, erhobenen Hauptes und entrückten Blickes, auf 20 Zentimeter hohen Schnürplateaus (Schuhe: trippen) den Laufsteg entlang. Aus dem Off ein Orchester aus Kindergeschrei und Violinen (Jan Schade). Ihre pechschwarze Robe war von Säure zerfressen, vom Po herab fielen silberne Hände und bildeten eine Schärpe, auf ihrem bonsaigroßen Stoffhut wackelte ein Ei: Die Frau ist fruchtbar, wer sonst. Weil sie aber keine Lust auf die Mutterrolle hat, legte Rebecca ihr Kostüm ab. Und wurde wieder Kind.

Lisa D., die Choreographin und Kleiderdesignerin, mag die Modenschauen in Paris und London nicht. Wo nur aalglatte Models mit DIN-genormtem Blick die Unnahbarkeit mimen und roboterhaft defilieren. Daß Mode mehr ist als nur das, was auf der Haut liegt, demonstriert Lisa D.: „Ich würde keine Kleider entwerfen, wenn ich nicht ein bestimmtes Frauenbild hätte.“ Wer ihre gerafften und mit lianenähnlichen Schnüren drapierten Kleider anzieht, fühle sich als Frau. Und das ist Lisa D.s Motto: Aus der grauen Masse unauffälliger Frauen herausstechen – und das Weibliche betonen. Verstecken können sich die Trägerinnen von Fiona Bennetts Hüten auch nicht: „Wer Hüte aufzieht, fällt auf.“

Bennett komponiert ihre Kopfkunst mit Fasanenfedern und schwarzweiß gestreiftem Baumwollstoff, Pailletten und Gardinenkordeln. Sie bedecken nicht den Kopf einer Frau, sie legen offen, sind immer edel. Und immer auch ironisch. „Wenn ich meinen Teufelhut trage (zwei aus schwarzem Stoff gewickelte Hörner), passiert es mir oft, daß Leute mich anlächeln und anstrahlen.“

Früher gab es richtige Hutregeln. Etwa die, daß Frauenhüte immer die rechte Gesichtshälfte bedecken mußten: Denn der Mann ging links, und das Gesicht der Frau sollte nur ihm, nicht aber der Außenwelt sichtbar sein. Niemand hält sich noch an diese Regel, aber auch so erlebt das Huttragen eine Renaissance: In Technodiscos etwa gehören Strickmütze und Baseballkappe zum guten Ton. Für Fiona Bennett ist dieser Kopfschmuck „Uniform“. Doch vielleicht kann sie von diesem Trend profitieren. Und ihn abwandeln in: Mut zum eigenen Hut.

In Fiona Bennetts und Lisa D.s Atelier, in einer ehemaligen Seifenfabrik über dem „Boudoir“, findet morgen und am Sonntag von 12 bis 20 Uhr eine Sales Party statt. Wer ihre Modenschau verpaßt hat, kann sie dort, in der Brunnenstraße 192, Mitte, auf Video anschauen.

Aufführungen der „Opera Jonglage“ (mit Kostümen von Bennett und D.!) bis 29.5., Mi.–So., 20.30 Uhr, Bar jeder Vernunft, Schaperstraße 24, Charlottenburg.

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