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Keiner sei sein eigener Endpunkt

Work in progress mit beständigen Bildern: Aus der Ostberliner Off-Szene wurde Jo Fabians example dept. eingeladen, mit zwei Teilen der Trilogie „Vaterlandskomplex“  ■ Von Margit Knapp Cazzola

Endlich wieder ein junger deutscher Multimediakünstler! Jahrgang 1960, Autor, Choreograph, Schauspieler, Musiker, Maler, Berliner aus dem Osten – Auftritt Jo Fabian, genauso, wie es sich heutzutage für die Szene gehört: dunkle Brille, Zopf, Kettenraucher, starker Kaffeetrinker, Theorieverächter, Feind des herkömmlichen Literaturtheaters und des etablierten Theatersystems sowieso.

Solange die deutschen Theater mit festen Intendanten geführt würden, solange jeder sein eigener Endpunkt sei, könnten sich keine neuen interessanten Strukturen entwickeln. Jo Fabian ist ein überzeugter Verfechter der Freien Szene – als Voraussetzung für die Theaterarbeit, wie er sie versteht. Entwicklung neuer Wahrnehmungsmuster, Bewegung, die von kleinen architektonischen Lebensfeldern nach außen geht. Die Situation des modernen Tanztheaters in Deutschland? „Daß sie mich als Choreographen entdeckt haben, ist die Krise des Tanztheaters.“ (lacht) Ihm gehe es darum, Raum für Kunst zu gewinnen, der nicht staatlich optioniert sei. Vor der Wende wie nachher. Nur daß jetzt keine Ideologiemuster mehr verarbeitet werden müßten, sondern Marktmuster.

Mit der Auswahl von „Whisky & Flags“ und „Keine Gnade“ für das Theatertreffen – den ersten beiden Teilen der Trilogie „Vaterlandskomplex“ – wird sich auf Jo Fabian und seine Gruppe example dept. allerdings genau jener Markt stürzen, dem sie sich entziehen wollen, von dem sie sich nicht vereinnahmen lassen wollen. Jo Fabian ist ein präziser Denker und ein sich seiner Wirkungsmöglichkeiten durch und durch bewußter Künstler. Daher wehrt er sich auch dagegen, „Whisky & Flags“ und „Keine Gnade“ nur punktuell zu betrachten. Denn auch wenn die Gruppe die Inszenierungen selbst auf den Punkt bringt und „Whisky & Flags“ eine „Komödie aus der Vergangenheit“, „Keine Gnade“ ein „schreckliches Märchen in der Gegenwart“ nennt, legt sie Wert darauf, daß ihre Arbeit als kontinuierlicher Prozeß begriffen wird. Aus jedem Stück soll sich die Arbeit am nächsten Stück ergeben – das setzt die Möglichkeit voraus, auch in der freien Szene mit dem gleichen Ensemble weiterzuarbeiten.

Nach dem Schauspielstudium in Rostock war Jo Fabian drei Jahre lang Schauspieler in Gera und Meiningen, seit 1987 ist er freiberuflicher Regisseur – in Leipzig, Dessau, Potsdam, Cottbus und Berlin. Example dept. ist aus der Inszenierung „Example No O.“ am Bauhaus in Dessau 1989 entstanden. Seitdem haben sie als freie Gruppe in Berlin oder innerhalb von Koproduktionen mit Stadt- und Staatstheatern acht Inszenierungen erarbeitet.

Wiewohl sich Jo Fabian dezidiert als Praktiker begreift, steht hinter seinem Theaterverständnis trotzdem ein wildes Gedankenkonstrukt, über das er manchmal selbst lächeln muß. „Katagraphisches Theater der bewegten Architektur“ etwa ist ein Baustein dieses Konstrukts. Ein wenig bezieht sich Jo Fabian dabei auf das von Stanislaw Ignacy Witkiewicz entworfene „Theater der reinen Form“. Jo Fabians Tänzer-SchauspielerInnen sind (ihm) vom äußeren Erscheinungsbild her gleichgemacht: bebrillt, langer Zopf, Hut. Sie „müssen sich ihre Identität selbst erspielen. In jedem Fall würde ich klonen.“ Auch wenn er die schwarze Brille nicht tragen müßte, die SchauspielerInnen müssen sie tragen. „Die Darsteller müssen darum kämpfen, erkannt zu werden. Dadurch wird sich erweisen, ob das Individuelle sichtbar wird oder nicht.“

Um die Kostüme kümmert sich die Schauspielerin Heidemarie Fabian. Auch die zehnjährige Tochter der Fabians ist in „Whisky & Flags“ mit auf der Bühne. Generell arbeitet Jo Fabian jedoch ausschließlich mit professionellen Schauspielern und Tänzern, die das Nichtsprechen und Nichttanzen gekonnt sichtbar machen sollen.

„Der Gedanke muß scharf sein, der Kontext muß stimmen, und die Bewegung muß hart sein“ – lautet die Eigenanforderung an „Whisky & Flags“ und „Keine Gnade“. Die Stücke „haben politisches Theater zum Gegenstand und sind deshalb so gewertet worden. Es geht aber um beständige Bilder, Entideologisierung.“

Im Theater unterm Dach werden diese Bilder nun wieder zu sehen sein, die Whiskyflaschen, Fahnen, runden Nasen, Brillen, Hakenkreuze, Nähmaschinen. Seit zwei Jahren sind Jo Fabian & example dept. zu Gast als freie Gruppe im Theater unterm Dach, in dem kleinen niederen Haus mit Balkon in der großen breiten Dimitroffstraße. Ihre nächste Inszenierung – das Projekt „New World Order“ – im Herbst 1994 wird sie nach Tübingen führen.

Aufführungen von „Whisky & Flags“ am 6. und 8.5., 20 Uhr sowie am 14.5., 23 Uhr; von „Keine Gnade“ am 7. und 13.5., 23 Uhr sowie am 15.5., 20 Uhr, Theater unterm Dach, Dimitroffstraße 101.

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