Hier vollendete Maske, dort Revolverlady

■ Zweimal Ibsens „Hedda Gabler“ im Vergleich: Andrea Breths Schaubühnenfassung und Jürgen Kruses Interpretation vom Schauspiel Frankfurt

Irgendwas stimmt da nicht. Kaum eine Kritik, die nicht mit einer Beschreibung des opulenten Bühnenbildes begonnen hätte – als sei die Schaubühne zu einer Art Schaufenster eines eleganten Ausstattungshauses geworden. Und tatsächlich dürfen die Zuschauer im Saal Platz nehmen, bevor das Stück beginnt und bewundernd in den stilvollen Salon blicken, den Gisbert Jäkel gestaltet hat. Der große Raum ist in gedämpftem Rosé, Rot- und Brauntönen gehalten, Teppiche und Möbel zeugen von erlesenem Geschmack.

„Hedda Gabler“, eine der Frauengestalten des norwegischen Dramatikers Henrik Ibsen, ist ein ebenso exquisites Geschöpf wie ihre Umgebung. Regisseurin Andrea Breth setzt in ihrer Inszenierung des aus dem Jahr 1890 stammenden Stückes die Schaubühnentradition in der Nachfolge Peter Steins fort: die größtmögliche Rekonstruktion der Figuren, ihres Innenlebens und ihrer Umgebung. Sie poliert die Oberfläche, auf die es in den Kreisen Hedda Gablers, jetzt verheiratete Tesmann, so sehr ankommt, poliert diese Oberfläche so gründlich, daß sie irgendwann spiegelblank ist und nur noch die abgrundtiefe Oberflächlichkeit, bodenlose Gemeinheit oder grenzenlose Borniertheit der Charaktere zurückwirft. Die Guten sind harmlos, und die Bösen sind glatt.

Statt mit Säbeln zu rasseln, hantiert die Generalstochter gerne mit Pistolen, ihre Liebschaften tarnt sie als Kameradschaften und verfolgt sie ausschließlich im geheimen, da sie nichts so sehr fürchtet wie den Skandal. Hedda Gabler ist keine Emanze, sondern ein verwöhntes Gör, das an „Seelenarmut“ leidet, wie Lou Andreas-Salomé in einem von der Schaubühnen-Dramaturgie ausgegrabenen Text schrieb: „Die Tiefe, aus der Hedda aufsteigt, ist nicht von wild überquellendem Leben [...] erfüllt, sondern eine leere Tiefe, wo keinerlei große Kräfte schlummern, ein hohler Abgrund [...]. Sie beherrscht sich vollkommen und ist durch und durch vollendete Oberfläche, täuschende Außenseite und stets bereite Maske.“

Corinna Kirchhoff als Hedda erfüllt diese Beschreibung perfekt in ihren Auftritten als kaltes Biest, als gelangweilte Gattin, als halbherzig bemühte Schwiegertochter von Tantchen Julle, als charmante Gastgeberin und bemühte Freundin. Nur ihr einstiger Liebhaber Lövborg (Wolfgang Michael), ein genialisch wirkender, schlaksiger junger Mann, dem Kleidung offensichtlich nicht viel gilt und der seine Lebensgier nicht krampfhaft zu verbergen sucht, vermag sie leicht aus der Fassung zu bringen – und haucht dem gediegenen Salonspiel das erste Mal etwas Verruchtes, Aufregendes ein. Aber Hedda kriegt natürlich auch das und ihn in den Griff.

Die Corinna Kirchhoff abverlangte Perfektion gerät zur Falle; selbst das Fäusteballen oder Zittern, das sie gelegentlich überkommt, weiß ihr Entgleisen am Ende – den Entschluß zum Selbstmord, den Schuß – nicht zu erklären. In Schönheit sterben? Nachgrübeln läßt sich darüber hinterher noch lange. Sabine Seifert

Aufführungen der Schaubühnen- „Hedda Gabler“ vom 6. bis 8. sowie am 10./11., 13.–15. 5., 19.30 Uhr, Schaubühne am Lehniner Platz, Kurfürstendamm 153

Soeben inszenierte Jürgen Kruse in Frankfurt „Die Perser“ von Aischylos – was mißlang. Zum Berliner Theatertreffen eingeladen ist er mit dem „Aischylos des 19. Jahrhunderts“, mit Henrik Ibsen. Der gelang. Ibsens „Hedda Gabler“, die erste große Revolverlady des Theaters, erpreßt erst ihren infantil-überdrehten Bücherwurm von Mann, dann sich selbst zu einem Glück jenseits von Langerweile. Ihre Erpressung aus Unbefriedigtsein braucht den Pistolenschuß. Die zurückhaltende, dadurch aufregende Ennui der Décadence richtet den Revolver gegen ihren Geliebten, dann gegen sich selbst.

Der Showdown macht Kruse einen Riesenspaß. Unter der Anwesenheit des zerfahren-gehorsamen Hausmädchens (Juliane Schmitz), des schütteren Geliebten und Konkurrenten ihres Mannes (Jürgen Rohe), dessen damenkränzchen- naiver Frau (Iris Erdmann), des strohköpfigen Richters, Schuhfetischisten und väterlich-brüderlichen Geliebten der Gabler in spe (Hans Falár), der mütterlich- schwesterlichen Tante (Henriette Thimig) und des schwul-norddeutsch akzentuierten, laut-lästerlichen Gatten ohne Genie (Friedrich Karl Praetorius), gegen sie alle praktiziert die schwangere Herrin über Langeweile und Mannsbilder ein Shooting, das keinen Vergleich zu fürchten braucht. Weil sie nichts ernst nimmt, einfach „Piff, Paff, Puff“ sagt und zur Hölle fährt, und kein Blatt vor den Mund nimmt. Nicht Italo, und immer noch: Brutalo.

Cornelia Schmaus als Hedda Gabler ist Sehnsucht und Grauen in einem, eine Westernheldin in Samtpyjama gegen die wundersamen Mitglieder eines skandinavischen Lonely Hearts Clubs. Mit Sgt. Pepper hebt sich der Vorhang. Auf der kleinen (im BE wahrscheinlich zu großen) Bühne stehen Blumen, Bücher, Koffer und Globen vom Mond. Das Piano ist an Säulen und Bühnenwänden aufgemalt; wer immer sich daran schmerzvoll festhält, läßt Sehnsuchtsmusik klimpern. Gesprochen wird nicht naturalistische Tünchsprache, sondern komponiertes Auf-Anschluß-Sprechen, nicht pianissimo, sondern molto presto, gelegentlich gesungen oder von Schreibmaschinengeklapper unterstützt und von tropischen Geräuschen aus dem angrenzenden Wintergarten umspielt.

Eine musikalische Hedda Gabler, eine komische zudem: Hedda wünscht sich ihren Mann zum Bundeskanzler und will ins Theater. „Was spielt denn da?“ – „Eine hervorragende Inszenierung von Ibsen.“ Tatsächlich. Kruse, der jedes Bühnenstück mit Rockmusik einläutet und sich nach jeder Premiere mit einem wackligen Hofknicks verbeugt, hat in Frankfurt ein zu Recht stets ausverkauftes Kammerspiel hingelegt. Arnd Wesemann

Aufführungen der Frankfurter „Hedda Gabler“ vom 7. bis 9. 5., 19.30 Uhr, Berliner Ensemble, Bertolt-Brecht-Platz 1