piwik no script img

„Die Zielgruppe bin ich“

„Konkret“-Herausgeber Hermann L. Gremliza und seine neue „Junge Welt“

Ab Montag erscheint die frühere FDJ-Zeitung „Junge Welt“ aus Berlin mit neuem Konzept und Layout. Für die Renovierung sorgte als Blattmacher Hermann L. Gremliza (53), seit 20 Jahren Herausgeber des linken Hamburger Magazins „Konkret“. Wie die taz mehrfach berichtete, mußte Gremliza sein linksradikales, west-orientiertes Konzept gegen heftigen Widerstand der Redaktion durchsetzen. Etwa ein Dutzend der 50 RedakteurInnen hat die Redaktion verlassen oder um Autorenverträge gebeten. Die Blattreform gilt als letzte Chance der „Jungen Welt“, deren Auflage seit der Wende von 1,6 Millionen auf 30.000 gefallen ist. Hinter der Zeitung steht seit 1991 die Berliner Mediengruppe Schmidt und Partner (Elefanten- Press, „Titanic“, „Freitag“).

taz: Warum um Himmels willen haben Sie dieses Himmelfahrtskommando bei der „Jungen Welt“ übernommen?

Hermann L. Gremliza: Die Frage stelle ich mir zweimal täglich.

Morgens und abends.

Und in bestimmten Situationen etwas heftiger. Es ist viel Arbeit zu tun, und es sind wenig Lorbeeren zu ernten. Es macht aber auch Spaß, die handwerklichen Fähigkeiten, die man sich erworben hat, einmal fast unbehindert erproben zu können.

Aber Sie haben keinerlei Tageszeitungserfahrung.

Stimmt.

Die „Junge Welt“ entwickeln Sie jetzt zum täglichen Magazin?

Wenn in einer Meldung nicht mehr steckt, als Herr Wickert am Abend vorlesen kann, dann muß sie nicht auch noch in der „Jungen Welt“ stehen. Wir können keine komplette Tageszeitung, keinen linken „Klein-Tagesspiegel“ machen, also werden wir machen, was wir vielleicht können: einen anderen Typ Tageszeitung, der die gewohnten Rituale nicht achtet, nicht die Pflicht des Chronisten, nicht die des Politikberaters und nicht die Rolle der „vierten Gewalt im Staat“. Pflicht des Kritikers ist es, die Kritik zu machen.

Klingt gut – aber die Auflage dümpelt bei 30.000, und im Westen Deutschlands haben sie keine Druckerei und einen schwachen Vertrieb. Bislang kriegt man die „Junge Welt“ in der Alt-BRD nur in einer Handvoll Großstädte am Kiosk. Selbst ihre West-Abos kommen nicht taggleich.

Man kann keinem übelnehmen, daß er die „Junge Welt“ bisher nicht hat lesen wollen. Um herauszufinden, ob man im Westen Fuß fassen kann, braucht man keine Druckerei in Frankfurt. Man hat Berlin und einige westdeutsche Großstädte, die man auch von Berlin aus pünktlich beliefern kann. Wenn die Zeitung wider Erwarten auch im Bayerischen Wald ein Renner wird, wird sich der Verlag bestimmt etwas einfallen lassen.

Die „Junge Welt“ verkauft nur 1.000 Abos im Westen. Der Mehrheit der Ostleser wollen Sie jetzt mit einem westlichen Konzept kommen. Doch auf dem Pressemarkt steht die Mauer noch.

Die neue „Junge Welt“ hat zwei Zielgruppen: Erstens die Abonnenten im Osten, die wir halten wollen. Da 70 Prozent der Redakteurinnen und Redakteure selber aus dem Osten sind, wird diese Redaktion keine Schwierigkeiten haben, die Bedürfnisse dieser Zielgruppe zu verstehen. Und die zweite Zielgruppe bin ich. Weil ich nicht daran glaube, daß man eine gute Zeitung machen kann, wenn man sie nach den Wünschen macht, die eine vorgestellte Leserschaft haben könnte. Ich habe eine Zeitung konzipiert, die einer wie ich, ein halbwegs literater Linker, vielleicht gerne lesen würde.

Wenn man sich die „Junge Welt“ so anschaut, dann müßte sie ständig in ihrer sprachkritischen „Konkret“-Rubrik „Gremlizas Express“ vertreten sein.

Ja. Man könnte, wenn man das Talent hat, mit manchen Kommentaren aus der „Jungen Welt“ beim Vorlesen so viele Lacher erzeugen, wie es mir mit dem Vorlesen von taz-Kommentaren gelingt. Deswegen wird die „Junge Welt“ nur noch einen Leitartikel pro Ausgabe haben – statt dreier Kommentare.

Auf den Seiten zwei und drei wollen Sie täglich drei „agenturfähige“ aktuelle Interviews bringen. Ehrgeiziges Ziel mit einer relativ kleinen Redaktion von 50 Leuten.

Das sah die Redaktion auch so. Ihr Kampf gegen diese Interview- Doppelseite war eine Abwehrschlacht, die Format hatte. Aber ich habe mich gehalten.

Sie haben von einem antideutschen Produkt gesprochen.

Das war ein mißverständliches Kürzel. Gemeint ist: Die „Junge Welt“ wird nicht in den Diskurs einsteigen, wie das „größer gewordene Deutschland seiner größer gewordenen Verantwortung in aller Welt“ erst politisch und dann militärisch „gerecht wird“.

Apropos Imperialismus. Man hört, Sie seien bei der Redaktion eingeritten wie Abwickler Rudolf Mühlfenzl damals beim DDR- Rundfunk. Die Wirtschaftsseiten wollten sie kurzerhand umbenennen in „Arbeit und Kapital“ oder „Krupps und Krauses“. Das erinnert die OstlerInnen an Staatsbürgerkunde. Mußten Sie Konzessionen machen?

Ja, ich habe mich überreden lassen, das eine oder andere nicht zu tun. Ich habe mir erklären lassen, wie eine bestimmte Begrifflichkeit auf die vorhandenen Abonnenten wirkt und womit man gleich 10.000 von ihnen wegjagen kann. Das muß ja nicht unbedingt sein.

Sie haben von sechs bis sieben neuen Leuten gesprochen, die Sie mitbringen wollen. Wer kommt außer Günter Kolodziej, Jürgen Elsässer und Wiglaf Droste?

Oliver Tolmein, Stefan Ripplinger, Bernhard Schneiderwind...

Und Frauen?

...Christine Kostrzewa.

Eine Alibifrau...

Ich bin ja Feminist der ersten Stunde. Das ist bekannt und deshalb sprechen weniger Frauen mich an, ob sie da mitmachen können. In der Redaktion arbeiten übrigens ohne Quotenregelung 40 Prozent Frauen.

Wie reagiert die „Junge Welt“ auf das „Superwahljahr“?

Ab 9. Mai wird dieses schöne Wort hier hoffentlich keine Verwendung mehr finden.

Keine Leidenschaft für Rot- Grün?

Jede Redakteurin und jeder Redakteur kann ihren oder seinen Wunsch haben. Aber das fällt eher in den Bereich von Glosse und Unterhaltung. Ich könnte sehr gut begründen, warum es mir am liebsten wäre, wenn Helmut Kohl am Ende dieses Jahres immer noch Kanzler ist. Aber das interessiert niemanden und ist für die „Junge Welt“ nicht relevant.

Wieso mehr Kohl?

Weil's schlimmer wird, wenn's die anderen machen. Die müssen nämlich immer wieder beweisen, daß sie keine vaterlandslosen Gesellen sind. Die hauen erst richtig drauf. Und sie fühlen sich als Gutmenschen historisch legitimiert, überall die Menschenrechte zu regeln. Die Koalition, die zuerst deutsche Bomben werfen würde, wäre eine rot-grüne.

Nehmen wir mal an, daß die DDR auf deutschen Sonderwegen eine ganze Zeit lang Schlimmeres verhindert hat. Der Deckel auf dem Topf mit brauner Suppe. Ist die „Junge Welt“ nun Gremlizas westlich geleitete Rest-DDR?

Jesus Maria, es ist leider sinnlos geworden. Wenn so etwas unterhalb oder oberhalb der Grenze der Lächerlichkeit möglich wäre, dann würde ich mich nicht scheuen, es zu probieren. Ist aber nicht möglich.

Sie haben bedauert, daß Steffen Heitmann nicht Bundespräsident werden durfte. Der bolschewistischen Edelfeder fällt sicher was zu den vier Präsidentschaftskandidaten ein? Zu Jens Reich?

Ein Volk, Jens Reich, ein Führer.

Hildegard Hamm-Brücher?

Kein Einfall.

Johannes Rau?

Roman Herzog auf evangelisch.

Und zu Roman Herzog?

Da kann ich nur einen Asylbewerber zitieren, der das derzeitige Klima in Deutschland folgendermaßen fand: Rau, aber Herzog.

Letzte Frage: Wenn die taz die „Kinder-FAZ“ ist, dann ist die „Junge Welt“...

...keine kleine „Frankfurter Allgemeine“, sondern eine „Berliner Konkrete“. Interview: Hans-Hermann Kotte

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen