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Der Zug war pünktlich

■ Der Kanaltunnel ist eröffnet und gleich wieder geschlossen worden

London (taz) – Für einen Moment wurde Großbritannien gestern zur Halbinsel: Queen Elizabeth und der französische Präsident François Mitterrand eröffneten den 52,5 Kilometer langen Tunnel unter dem Ärmelkanal. Danach wurde er allerdings sofort wieder geschlossen – erst im kommenden Jahr werden die beiden Röhren den Betrieb in vollem Umfang aufnehmen. Das tat den Feierlichkeiten aber keinen Abbruch.

Während Mitterrand, der Sohn eines Bahnhofsvorstehers, im Pariser Gare du Nord die Einweihungsplakette enthüllte, tat Elizabeth das gleiche in London-Waterloo. Dann stiegen beide in den Eurostar-Zug und machten sich auf den Weg nach Calais. Mitterrand mußte seiner englischen Kollegin einen Vorsprung geben, weil sie zunächst über die veralteten Regionalbahnschienen nach Folkestone zum Tunnel zuckelte. Die Hochgeschwindigkeitsstrecke wird erst im Jahr 2002 fertig.

Die Queen wurde von Philip, ihrem Mann, begleitet, der in seinem langen Trenchcoat nicht nur wie ein Gärtner aussah, sondern sich auch so benahm: Er lief stets fünf Schritte hinter ihr. Mit dabei war auch Baronin Thatcher, die den Briten den ungeliebten Tunnel eingebrockt hatte, als sie noch Premierministerin war. Ihr Nachfolger John Major hatte zur Sicherheit sein gesamtes Kabinett mitgebracht. Er grinste ständig völlig grundlos. Hatte man ihm das Tory- Debakel bei den Kommunalwahlen verschwiegen (siehe Seite 2)? Die Tunneleröffnung kam für ihn zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt, versucht er doch gerade, sich als Europa-Skeptiker zu präsentieren. Statt dessen mußte er nun an einem Projekt teilnehmen, das den Euro-Gegnern schmerzhaft die Nähe eben dieses Europa vor Augen führt.

Die Queen sah recht besorgt aus, als der Eurostar in den Tunnel eintauchte. Dazu gab es keinen Anlaß, versicherte ihr John Noulton, der Pressesprecher der Betreiberfirma Eurotunnel. Der Tunnel sei sieben Mal sicherer als normale Eisenbahnstrecken, behauptete er. Wie er das ausgerechnet hat, verriet er aber nicht. Außerdem könnten Bombenanschläge den Röhren gar nichts anhaben, weil die Explosion „den Weg des geringsten Widerstands suchen und an den beiden Öffnungen in Folkestone und Calais wirkungslos verpuffen“ würde. Das meinte er tatsächlich ernst. Für den Kraftfahrzeugverkehr – die Autos werden von den Zügen huckepack durch den Tunnel transportiert – haben Statistiker ein größeres Risiko errechnet: Alle 540 Millionen Fahrten werde es zu einem Todesfall kommen, prophezeien sie.

Gestern ging jedoch alles gut. Tausende von Presseleuten aus der ganzen Welt guckten auf französischer Seite in die Röhre, aus der der Zug um zwölf Uhr mittags planmäßig herauskam. Auf demselben Gleis fuhr ihm Mitterrands Eurostar entgegen, bis beide Züge Schnauze an Schnauze zum Stehen kamen. Im Normalbetrieb soll ein Computer genau das verhindern, sagte Noulton, aber wegen der Dramaturgie habe man das Gerät gestern abgeschaltet. Zuerst stieg Mitterrand aus und lief auf einem roten Teppich, der bis zuletzt mit einem Staubsauger bearbeitet worden war, die paar Schritte zum britischen Zug. Dann erst verließ die Queen den Zug, fünf Schritte später ihr Mann, und dann Major mitsamt Kabinett. Aber wo war Thatcher? Hatte Major sie unterwegs aus dem Zug geworfen, um sich einer lästigen Kritikerin zu entledigen?

Dennoch nahm die Zeremonie ihren Lauf, als sei nichts geschehen. Nach den Nationalhymnen zerschnitten die beiden Staatsoberhäupter gleichzeitig das Band, womit der Bahnhof als eröffnet galt. Bevor es huckepack im Rolls- Royce der Königin zurück nach Folkestone ging, gab es eine Busrundfahrt durch das Bahnhofsgelände in Coquelle. Major mußte durch die Hintertür in den Bus einsteigen. Ob ihm das zu denken gab? Ralf Sotscheck

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