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Sexfotos auf der Polizeiwache

Skandal in Mannheim / Die Staatsanwaltschaft ermittelt / 25 Polizeibeamte sind bereits suspendiert / Hieß der Deal: „Keine Anzeige gegen Sex“?  ■ Von Bernd Oehle

Mannheim (taz) – Als zwei Streifenpolizisten Ende April in der Mannheimer Innenstadt eine junge Frau vorläufig festnahmen, sah zunächst alles nach trauriger Routine im Drogenfahndungs- Alltag aus. Die Frau war auf dem Drogenstrich wiederholt festgenommen worden, doch dieses Mal weigert sie sich, den Polizisten auf das Innenstadtrevier im Quadrat H4 zu begleiten. Denn dort war sie einmal nach einer Festnahme vergewaltigt worden. Die Polizisten riefen die Kripo und bei den weiteren Ermittlungen platzte eine Bombe.

In einem Schrank des Reviers wurden zwei Ordner gefunden, in denen sich dienstliche Fotos, Bilder von fröhlichen Feiern sowie Skandalöses fanden: Nackte Frauen und ein Paar beim Geschlechtsverkehr. Sie waren zur Nachtzeit auf diesem Revier fotografiert worden und belegen mehrere Vorfälle über einen längeren Zeitraum hinweg. Es besteht der dringende Verdacht, daß es die Beamten vor allem auf drogenabhängige Frauen abgesehen hatten, deren Zwangslage sie dann sexuell ausnutzten. Keine Anzeige gegen Sex, lautet der Verdacht. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft und zwar – weil das gesamte Revier von der Existenz der Fotos gewußt haben muß – gegen die gesamte Dienstgruppe. 25 Polizisten, einschließlich Vorgesetztem, wurden suspendiert, drei zu anderen Dienststellen versetzt. Jetzt versucht Oberstaatsanwalt Peter Jehle Licht in die finsteren Nächte des Reviers H 4 zu bringen und die Identität der abgebildeten Personen herauszufinden – eine Aufgabe, bei der er langwierige Ermittlungen nicht ausschließen mag. Offenbar kommt die Wahrheitsfindung trotz der zur Verfügung stehenden Beamten nur zögernd voran. Dies ist kaum verwunderlich, geht es doch um ein Revier, das in Mannheim einen denkbar schlechten Ruf genießt.

Immer wieder hat es Klagen über Mißhandlungen durch Beamte gegeben. Erst letztes Jahr starb ein Obdachloser unter ungeklärten Umständen auf dem Revier. Nie landeten Beschwerden vor Gericht, selbst wenn die Art der Verletzungen mit den Schilderungen der Polizei „schlicht unvereinbar“ waren, wie der Mannheimer Rechtsanwalt Günter Urbanczyk aus seinen Erfahrungen berichtet. Für Urbanczyk war bisher ein großes Problem, „daß bei der Mannheimer Polizei ein Corpsgeist herrscht, dem leider auch vernünftige Beamte anhängen“. Der Rechtsanwalt hegt keinen Zweifel, daß der Einzugsbereich des Reviers zu den schwierigsten gehört, die es in Mannheim gibt: „Ein scheiß Job zu scheiß Bezahlung“, charakterisiert er das Großstadt- Gebräu aus Rotlicht-Milieu, Straßenstrich und Dealer-Szene.

Der Skandal um das Innenstadtrevier kommt just in einem Moment, in dem die Mannheimer Polizei ohnehin unter Beschuß des Stuttgarter Innenministeriums steht. Minister Birzele (SPD) hatte heftige Kritik an den Ermittlungen geübt, die anläßlich fremdenfeindlicher Ausschreitungen vor einem Asylbewerberheim Ende Mai 1992 vorgenommen worden waren. Tagelang hatte ein aufgebrachter Mob vor dem Heim, einer ehemaligen US-Gendarmerie-Kaserne im Stadtteil Schönau (sozialer Brennpunkt), randaliert. Es wurde aus der Menge mit Gewaltanwendung gedroht („Totschlagen, das Pack“, „Schlitzt sie auf“, „die Drecksäue gehören aufgehängt“), ein Polizist wurde durch einen gezielten Flaschenwurf leicht verletzt. Auslöser der Randale war das nachweislich falsche Gerücht, ein Asylbewerber aus dem Heim habe eine 16jährige vergewaltigt. Die Verfahren gegen die festgenommenen Personen wurden allesamt eingestellt, Begründung: Alles brave Bürger, die nur ein wenig zuviel getrunken hatten – die Randale begann am Vatertag.

Der Rüffel von Innenminister Birzele kommt nach zwei Jahren reichlich spät und wird keine Folgen haben. Die Daten der damals Festgenommenen wurden mittlerweile gelöscht, neue Ermittlungen sind wohl nicht zu erwarten.

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