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Gutachterstreit statt Atomtransport-Stopp

■ Bremerhaven zieht immer mehr Atomtransporte an: Bremer Ampel-Senat drückt sich vor Entscheidung / SPD-Häfensenator Beckmeyer gegen effektive Maßnahmen, Grünen-Umweltsenator Fücks will neues Gutachten

Wie gefährlich sind die Atomtransporte über Bremerhaven für die Bevölkerung? Diese Frage soll ein Gutachten klären, das die Senatsressorts Umwelt und Häfen eigentlich gemeinsam in Auftrag geben wollten. Von der Eintracht der Behörden, die bei der Frage der Transporte völlig verschiedener Meinung sind, ist allerdings keine Rede. Der Streit zwischen den Ressorts hat dazu geführt, daß dieses Gutachten bis heute nicht offiziell vergeben ist.

Die Umweltschutzorganisation Greenpeace sieht in einem solchen Gutachten nur Geld- und Zeitverschwendung: Ihrer Meinung nach kommt Bremen auch mit einem Gutachten nicht um eine politische Entscheidung gegen die Atommülltransporte über die Bremischen Häfen herum.

Gutachter der Studie soll der Bremer Physik-Professor Cornelius Noack sein, der schon die Sicherheit von Atomtransporten in Saarbrücken untersucht hat. Auf eine Anfrage der grünen Fraktion antwortete der Senat im Oktober, daß diese Studie in Bremen bekannt sei, eine Arbeitsgruppe bis zum 31. März 1994 „Konsequenzen“ vorschlagen werde und eine solche Studie zu den Bremischen Häfen veranlaßt werden solle. „Bis heute habe ich keinen offiziellen Auftrag für die Studie erhalten“, sagt Noack. „So ein Gutachten hat nur Sinn, wenn sich die Ressorts einig sind.“ Da aber ist der Haken. Denn die beiden Senatsressorts erwarten von einem solchen Gutachten entgegengesetzte Ergebnisse. Der grüne Umweltsenator Ralf Fücks würde die Transporte am liebsten unterbinden. Strenge und teure Sicherheitsauflagen würden einen Dämpfer für die Transportlust bedeuten, meint man in der Behörde. „Wir wollen die größtmögliche Sicherheit für die Bevölkerung, da darf Geld keine Rolle spielen,“ sagt Edo Lübbing (Energieleitstelle des Umweltressorts).

Die Häfenverwaltung ist da ganz anderer Meinung. Für sie sind die Transporte nötig, weil der Bund sie anordnet und weil bei einer einseitigen Sperrung der Häfen Bremen seinen Status als „Universalhafen“ verlieren könnte. Den Sinn eines Gutachtens zur Sicherheit sieht die Hafenbehörde nicht. In einer internen Vorlage der ressortübergreifenden Arbeitsgruppe, die Noacks Studie über Saarbrücken auf ihre Bremer Anwendbarkeit prüfen sollte, schlägt das Häfenressort als Empfehlung der Arbeitsgruppe vor: „Die Arbeitsgruppe ist nach umfassender Prüfung der Vorschläge der Gutachter der Ansicht, daß radioaktive Transporte über bremische Häfen entsprechend den von den Gutachtern geforderten Sicherheitsvorkehrungen durchgeführt werden. Die Erteilung eines Auftrags zur Anfertigung einer Studie über die Sicherheit radioaktiver Transporte in Bremen erübrigt sich daher.“ Also: Ein eigenes Gutachten wird nicht benötigt.

Dem Wissenschaftler Noack wurde angeboten, einen Transport zu begleiten, um die Sicherheitsvorkehrungen zu beurteilen. Noack aber braucht das nicht, meint er. „Man muß mit den Leuten im Hafen reden, um die Schwachstellen zu finden. Was soll ich auf einem Schiff nach Schottland fahren?“ Auch die Mitarbeit in der Arbeitsgruppe schmetterte Noack als Alibi-Posten ab: An Umweltsenator Fücks schrieb er: „Ich weiß aus langjähriger Erfahrung (besonders hier in Bremen), daß es offenbar zu den Grundvoraussetzungen erfolgreicher politischer Tätigkeit gehört, Entscheidungen treffen zu können, ohne die zugrundeleigende Faktenlage zur Kenntnis nehmen zu wollen.“

Auch Greenpeace findet ein Gutachten überflüssig, allerdings aus anderen Gründen. Denn nach Ansicht von Jörn Behrens kann Bremen an den Sicherheitsbestimmungen der Transporte sowieso nicht rütteln: „Wenn der Bund sagt, die sind sicher, dann kann Bremen nicht dagegen an.“ Eine Studie, die sich bis zum Herbst hinziehen soll, ist in seinen Augen reine Zeitverschwendung – oder eben Zeitgewinn: Denn noch davor liegen die Bundestagswahlen, wo eine verstärkte Diskussion um den Atomkurs von SPD und Grünen nicht in den Kram paßt. „Wir haben in Bremen zwei Parteien in der Regierung, die in ihren Programmen den Ausstieg aus der Atomkraft propagieren. Gleichzeitig hält Bremen der Atomindustrie die Entsorgungswege offen.“ Denn die bremischen Häfen haben sich nach Ansicht der Umweltschützer nach der Schließung von Emden und Lübeck und bei rückläufiger Tendenz im Hamburger Hafen zum Atomumschlagsplatz Nummer Eins entwickelt.

Mekka für Atomtransporte?

„Bremen schert aus der Front der Küstenländer gegen die Atomkraft aus und verhindert einen möglichen Entsorgungsengpaß“, meint auch die grüne Bürgerschaftsabgeordnete Lisa Hackstein. Wenn es nach ihr geht, sollte Bremen dem Beispiel von Lübeck folgen und den Hafen für Atomtransporte generell sperren. Den Konflikt mit Bonn sollte das kleinste Bundesland ruhig riskieren. Und bei den Grünen in Bremen soll das Thema auch aufs Tapet: Hackstein will mit dem Ergebnis einer solchen Studie eine Debatte in der Stadt über die Transporte neu anschieben. Bei der nächsten Landesmitgliederversammlung am 1.Juni sollen die Atomtransporte auf der Tagesordnung stehen. bpo

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