: Zurück in Giesing
■ Eine Schülermannschaft gewinnt mit einem 2:0 gegen Schalke 04 die deutsche Fußballmeisterschaft und ein Kaiser kehrt dahin zurück, wo er hergekommen war
München (taz) – „Wir spielen manchmal wie eine Schülerelf“, sprach der Kaiser und wurde deutscher Meister mit seinen Bayern. Vier Monate benötigte er, um seiner Titelsammlung noch einmal die häßlichste Salatschüssel der Welt hinzuzufügen. Doch für Franz Beckenbauer hatte alles in kleinbürgerlichen Verhältnissen im Münchner Stadtteil Giesing begonnen, von den Insassen verächtlich „Glasscherben-Viertel“ genannt. Die Volksschule besuchte die spätere „Lichtgestalt des deutschen Fußballs“ (sagt der Lothar) ohne nennenswerten Erfolg, aber auf dem Aschenplatz des SC 1906 München lief er schon als Kind dem Ball hinterher. Irgendwann zu dieser Zeit müssen die Götter beschlossen haben, ihn mit Glück zu überschütten. Er wurde Deutschlands größter Spieler, aber dennoch nie ein „deutscher Fußballer“, kein Renner, kein Wühler, kein Grätscher, kein Vogts, kein Seeler, die sich im Schweiße ihres Angesichts ein Eigenheim am Stadtrand erkämpften, sondern ihm wurden Leichtigkeit und Eleganz – so schien es – in die Wiege gelegt. Als Trainer maß er seine Spieler an der eigenen Perfektion: Er tobte ob der technischen Unzulänglichkeiten, er schimpfte über taktische Dummheiten, winkte bei Torerfolgen verächtlich ab und belächelte Treffer der Gegner. Aber er machte aus einer in Cliquenwirtschaft zerfallenden Elf eine Einheit, die zwar keinen begeisternden, aber manchmal guten Fußball bot. Und er baute unerfahrene Spieler wie Hamann oder Frey in die Mannschaft ein. Die jüngste Elf der Liga wurde Meister.
Ein Spiegelbild der Saison bot die letzte Partie gegen Schalke 04: Verunsichert zu Beginn, zwischendurch 15 Minuten lang flotter Fußball und einschläfernd zum Schluß. Dem Anlaß angemessen wehrten sich die Schalker tapfer und waren in der ersten Hälfte einem Tor näher als die Bayern, doch Müller hielt die Stirn beim Kopfball falsch, Anderbrügge traf nur die Latte und Luginger brachte allein vor Aumann den Ball nicht über die Linie. Cholerisch tobte Beckenbauer an der Seitenauslinie und beleidigte seine Kicker, weil sie nicht taten wie geheißen. Und als der Schiedsrichter einen Elfmeter gegen Witeczek nicht gab, wurde der Zwist mit dem DFB noch einmal aktuell. Man stelle sich vor, die Bayern wären wegen dieses Nichtpfiffes kein Meister geworden: Vielleicht hätte Beckenbauer die deutsche Staatsbürgerschaft zurückgegeben.
Aber so wurde noch einmal alles gut. Lothar Matthäus, der neuerdings ja auch schon die Trainer in München einstellt, höchstselbst räumte er die letzten Bedenken beiseite, lief mit dem Ball am Fuß einfach so schnell und ausdauernd Richtung Schalker Tor, daß diese ihn einfach foulen mußten. Den Freistoß kurz vor dem Strafraum zwirbelte der Kapitän dann auch noch gleich ins Netz. Das ist dann wohl Weltklasse: In einer Minute allein die Meisterschaft gesichert.
Der Franzemann dankte es seinem Kapitän mit einem selten gesehenen Gefühlsausbruch, hüpfte rundherum um die Ersatzbank und herzte linkisch alle, die ihm im Wege standen. Den Rest beobachtete Beckenbauer – wieder ganz Gentleman – gelangweilt wie üblich, so auch das kurz darauf folgende 2:0 durch Jorginho. Nach dem Abpfiff dann schnell die Spieler umarmt und sich zurückgezogen wie schon vor vier Jahren in Italien, um das ausgelassene Treiben um sich herum zu betrachten.
Und weil Beckenbauer weiß, daß alle außer den Bayern-Fans den Münchnern den Titel mißgönnen, erklärte er, am Champagnerglas nippend, daß alles so schon seine Richtigkeit hätte, weil sie doch vom ersten Spieltag an traditionell von allen anderen gejagt, verachtet und gehetzt werden. Und besser waren die anderen auch nicht. Und dann noch die Bösewichter vom DFB. Und während er sich wieder einmal in die Berge zurückzieht, um sein Golfhandicap entscheidend zu verbessern, hinterläßt er seinem Nachfolger Trappatoni eine Hypothek wie vor vier Jahre dem damals frisch gekürten Bundesberti: Mit den neu verpflichteten Spielern und dem erwarteten Geldregen aus dem Europacup kann eigentlich nichts mehr schiefgehen. Und Manager Uli Hoeneß tagträumte wie schon so oft in den letzten Jahren von der „europäischen Spitze“.
Viel anspruchsvollen Gesang (alte Evergreens wie „Olé, Ole, Olé“ oder „Deutscher Meister ist nur der FCB“) und weltmännische Bescheidenheit („Erich Ribbeck hat die Mannschaft in dieser Saison 20 Spiele betreut, ich nur 14. Deshalb ist dieser Titel auch sein Verdienst“) später kehrte der Kaiser Franz tatsächlich zurück zu seinen Wurzeln. Nach Siegerehrung, Meisterschaleschmatzen und Ehrenrunden im Olympiastadion Stadtempfang im Rathaus und Jubeln auf dem Marienplatz dann die mannschaftsinterne Feier im Salvator-Bierkeller auf dem Nockherberg. Und der liegt immerhin in Giesing. Werner Steigemann
FC Schalke 04: Lehmann - Schierenberg - Eigenrauch, Linke (54. Dikhtiar) - Luginger, Herzog, Müller, Nemec, Anderbrügge, Prus - Eckstein
Tore: 1:0 Matthäus (49.), 2:0 Jorginho (59.)
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