Rein in die Nato!? Raus aus der Nato?!

Wochenlang waren Kreml-Astrologen damit beschäftigt, die russische Position zur „Partnerschaft für den Frieden“ herauszufinden / Nun erklärten zwei Minister ihr deutliches Njet  ■ Aus Moskau Klaus-Helge Donath

„Nato ili ne nado?“ wurden kürzlich die Russen gefragt. Soll Rußland in die Nato, oder ist das nicht nötig? Die Umfrage förderte ziemlich klare Ergebnisse zutage. 29 Prozent der Russen befürworten grundsätzlich den Beitritt ihres Landes, 37 Prozent sind dagegen. Einem Drittel fällt die Antwort schwer, aber auch sie neigen eher dazu, dem Bündnis eine Absage zu erteilen. Eine Aufschlüsselung nach Einkommen und Beruf ergab: Vornehmlich Outsider, Schlechtverdiener, Hausfrauen und Leute ohne abgeschlossene Berufsausbildung stehen dem Nordatlantikpakt besonders kritisch gegenüber. Es sind die in jeder Gesellschaft eher beharrenden Kräfte. Doch das Bild hat einen Schönheitsfehler. Selbst 43 Prozent der Studenten sagten „Njet“. Von den Militärs hingegen wollen etwas mehr als die Hälfte nicht. Im Vergleich zum akademischen Nachwuchs zeigten sie sich somit unerwartet undogmatisch.

Mit Sicherheit ist die öffentliche Meinung nicht der entscheidende Faktor, der Rußlands Führung jetzt bewog, dem wochenlangen Lavieren um einen Beitritt ein Ende zu setzen. Erst verkündete es Verteidigungsminister Gratschow, Außenminister Kosyrew bestätigte dann nur noch: Die Partnerschaft passe Rußland in der vorgesehenen Form nicht. Bis zum 15. Mai sind Experten angehalten, eine Alternative zu erarbeiten, die Gratschow Ende Mai in Brüssel vorstellen wird. Einzelheiten wurden nicht bekannt. Nur soviel: Moskau befürwortet ein kollektives Sicherheitssystem auf Grundlage der KSZE, das sich allerdings nicht auf Europa beschränkt. Rußland möchte die Brücke sein, die Europa und Asien verbindet. Mit dem Gedanken, die GUS in ein „vollwertiges Militärbündnis“ zu verwandeln, das in das neue Bündnis eingeht, versucht Moskau seine Führungsrolle im imperialen Vorgarten festzuschreiben.

Das Konstrukt „Partnerschaft“ war eigens für Rußland geschaffen worden. Vehement hatte der Kreml im Herbst seine Bedenken geäußert, als die Staaten Ostmitteleuropas eine Aufnahme in die Nato anvisierten. Eine Ost-Erweiterung ohne Rußland, warnte das Außenministerium, könnte das Land wieder in die Isolation treiben. Innenpolitisch würde es jenen Kräften in die Hände spielen, die die Demokratisierung zurückschrauben wollten. Bis Ende März galt die Unterzeichnung als beschlossene Sache. Für Irritation sorgte erst Jelzin. Er ließ verkünden, die Ausarbeitung der russischen Beitrittskonditionen würden sechs bis sieben Monate in Anspruch nehmen. Verteidigungs- und Außenministerium waren in der Folgezeit bemüht, den Eindruck zu tilgen, grundsätzliche Einwände stünden dem Projekt im Wege.

Nach dem Nato-Bombardement in Bosnien machte sich auch Außenminister Kosyrew auf den Rückzug. Verteidigungsminister Gratschow zögerte noch, reihte sich dann ebenfalls in die Phalanx ein. Der offizielle Grund für den Aufschub, das Vorgehen der Nato auf dem Balkan, diente damals schon als Vorwand. Nach dem Vermittlungserfolg um Sarajevo sah die russische Diplomatie ihre Chancen steigen, in der Weltpolitik wieder eine maßgebliche Rolle zu spielen. Kurz darauf kehrte sie als Vermittler im Nahostkonflikt zurück. Im Rahmen des Vertretbaren versuchte sie sich vom Westen abzuheben. Einerseits wollte sie die innenpolitischen Gegner beschwichtigen. Andererseits bereitete sie das Terrain, um den Westen für russische Sonderwünsche „aufnahmebereiter“ zu stimmen.

Das taktische Manövrieren in den vergangenen Wochen hatte Zweifel aufkommen lassen, ob dem Kreml womöglich ein ganz anderes außenpolitisches Modell vor Augen schwebe. Im Klartext: Werden die Befürworter einer Integration Rußlands in Europa von jenen Kräften verdrängt, die das Land als eine eurasische Macht etablieren wollen? Das Parlament, die Staatsduma, hatte von Anfang an seinen Mißmut kundgetan. Erstaunlicherweise zogen in einer für sie beispiellosen Einmütigkeit Reformer, Nationalisten, Kommunisten und Faschisten dabei an einem Strang. Die wenigen Krümel des neuen Konzepts lassen vermuten, beide Seiten haben sich in der Mitte getroffen: Rußland geht einen Schritt nach Europa mit seiner imperialen asiatischen Erblast im Schlepptau.

Die Gegner der „Partnerschaft“ argumentierten von Anfang an, eine Mitgliedschaft würde den einheitlichen militärisch-politischen Raum der GUS, der allmählich Konturen annähme, in sich spalten. Einer Überprüfung hält dies nicht stand. Völkerrechtlich besitzt Moskau keine Handhabe, einzelne GUS-Staaten am Beitritt zu hindern.

Georgien, die Ukraine und Moldova haben das Rahmenabkommen schon unterzeichnet. Kasachstan, Turkmenistan, Weißrußland und Aserbaidschan tragen sich mit der Absicht. Die Angst Moskaus, der Nato könnte es gelingen, die GUS-Staaten unter ihre Ägide zu bringen, entbehrt an Realitätsgehalt. Auf absehbare Zeit fehlen diesen Ländern nicht nur die Mittel, um aktiv an der Partnerschaft teilzunehmen. Ihre Verflechtung mit Rußland reicht noch so weit, daß es ein Leichtes wäre, gerade im Rahmen der Partnerschaft den „einheitlichen“ Raum herzustellen. Doch insbesondere die baltischen Staaten und die Ukraine dürften die Partnerschaft nutzen, um ihre Aufnahme in die Nato zu beschleunigen.

Bisher schien aus russischer Sicht nichts wünschenswerter als ein Mandat der Weltgemeinschaft, das es Moskau gestattete, im „nahen Ausland“ die Rolle des einzig legitimierten Konfliktreglers zu übernehmen. Das Zögern der UNO beantwortet Rußland anscheinend nun, indem es diese Rolle gleich zum Fundament eines neuen Sicherheitssystems machen will.

Ausgerechnet ein Kommentator der Armeezeitung Krasnaja Swjesda vertrat dagegen eine andere Position: Es sei immer noch besser mitzumachen als abzuwarten. Rußland könne nichts verlieren. Zu hoffen, die Nato schüfe aus sich heraus ohne Druck ein neues kollektives Sicherheitssystem, sei dagegen ein frommer Wunsch. Die Isolation – im Falle einer Verweigerung – hingegen ein zu hoher Preis. In Moskau wird man sich das wohl überlegt haben, bevor man zum Frontalangriff überging. Denn den angenommenen Nato- Zielen kann Moskau von außen weniger entgegensetzen, als wäre es in den politischen Gremien präsent. Ganz außen vor bleiben möchte man demnach nicht. Vielleicht baut der Kreml unter den veränderten Bedingungen auf die Einsicht der Nato, die überfällige Runderneuerung der Organisation anzugehen.