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Politische Themen, kleingemacht

■ Tankred Dorst wurde in Berlin der Theaterpreis des ITI Deutschland verliehen

Kurz vor der Uraufführung seines ersten großen Schauspiels „Die Mohrin“, 1964 im Frankfurter Schauspielhaus, ging Tankred Dorst zusammen mit dem Regisseur Gerhard Klingenberg durch die Werkstätten des Theaters. In der Schreinerei war ein Handwerker mit dem Bau einer großen Holztreppe beschäftigt, die ins Leere führte. Ganz nebenbei hatte Dorst in einer Regieanweisung eine Treppe erwähnt, und zu seinem großen Schreck mußte nun tatsächlich ein Schreiner, „ein Mann mit einem so ernsthaften Beruf“, diese so offensichtlich nutzlose Requisite bauen, und der Dramatiker schämte sich ein bißchen. Daran hatte sich Dorst im April auf einer Lesung im Darmstädter Staatstheater erinnert. Noch der 68jährige, längst einer der erfolgreichsten zeitgenössischen deutschen Bühnenautoren, wirkt bei offiziellen Anlässen betreten.

So auch am Sonntag, als ihm in der Berliner Akademie der Künste zum Welttheatertag der Preis des Internationalen Theaterinstituts (ITI) verliehen wurde. Die gesetzten Herren aus der Theaterwelt hatten sich schon in den Clubräumen zur alljährlichen Generalversammlung des Instituts niedergelassen, als der Preisträger eintraf. „Laßt uns gleich im Foyer ein Gläschen trinken“, meinte ITI-Präsident August Everding und ließ die Mitglieder sich um den Preisträger scharen. Geld gab es nicht für den Preis, aber Ehre und eine kleine Laudatio, verlesen vom Präsidenten persönlich.

Er betonte besonders Dorsts Engagement für junge Autoren in der ganzen Welt. Als künstlerischer Leiter der Bonner Biennale hatte Dorst vor einiger Zeit ein Netzwerk von Patenschaften etablierter Autoren für junge, unbekannte Autoren in ganz Europa initiiert. Außerdem gebe Dorst seine Erfahrungen als Dramatiker, Drehbuchautor und Regisseur an der Berliner Hochschule der Künste seit Jahren an angehende AutorInnen weiter, soweit Everding.

Vielleicht ist Tankred Dorst, der sich von der Kritik seit Jahren verkannt fühlt, mit einer solchen, seine Stücke sträflich unbeachtenden Laudatio gar nicht recht zufrieden. Sein Schaffen als Theaterautor blieb gänzlich unerwähnt: zum Beispiel, daß der 1925 im thüringischen Sonneberg geborene Dramatiker schon in den 50er Jahren für eine studentische Marionettenbühne seine ersten Stücke schrieb und mit der Farce „Die Kurve“ seine Theaterkarriere begann. Dem folgt das an Brecht erinnernde Drama „Große Schmährede an der Stadtmauer“, das 1961 in Lübeck uraufgeführt wird.

Der Durchbruch gelang Dorst mit dem auch heute wohl noch bekanntesten Stück „Toller, Szenen einer deutschen Revolution“ von 1968, das so genau den Nerv der Zeit traf. Es stellt auch eine Zäsur für Dorst dar, die sein Werk bis heute prägt: Der Vorrang des Privaten vor dem Politischen, das Erkennen und Verstehen des einzelnen in gemeinhin kollektiv kategorisierten Moralinstanzen. Politische Themen, kleingemacht.

Das setzt sich fort in der Lebensbeschreibung des norwegischen Dichters und Nazis Knut Hamsun in „Eiszeit“ (1972), der Nachdichtung von Falladas „Kleiner Mann – was nun?“ bis hin zu seinem erst in diesem Jahr in Hamburg uraufgeführten Stück „Herr Paul“, der Beschreibung des Zweikampfes zwischen dem dicken Philosophen und dem fortschrittsfrohen Fabrikerben. Nie bezieht der Dichter ausdrücklich Position, es gibt ihn nicht, den schlechthin Bösen oder Guten in seinen Stücken, denn „ob schließlich das, was auf der Bühne Ereignis wird, ,etwas sagt‘, hat nichts mit der Moral zu tun, die es ausspricht“. Volker Weidermann

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