: Der Maler als Chaosforscher
Sieg des Geistes oder fortschrittliche Niedlichkeit: In Münster wird in der Ausstellung „Franz Marc – Kräfte der Natur“ auch mit dem Mythos vom expressionistischen Künstler als friedliebendem Tiermaler aufgeräumt ■ Von Thomas Fechner-Smarsly
Die großen Visionen der Moderne zerschellen nicht selten in ihren individuellen Lebensläufen: Am Nachmittag des 4. März 1916 stirbt der Maler Franz Marc, während eines Erkundungsrittes bei Verdun von einem Granatsplitter in den Kopf getroffen. Aufforderungen, ja dringliche Bitten von Künstlerkollegen und Freunden, sich von der Front freistellen zu lassen, hatte er abgelehnt. Im Gegenteil belegen seine Briefe aus dem Feld noch bis ins Jahr 1915 hinein einen ausgesprochenen Enthusiasmus für diesen Krieg. Vom notwendigen Blutopfer war da die raunende Rede, wurde über das Schlachten als läuterndes Fegefeuer schwadroniert: „Ich selbst lebe in diesem Krieg. Ich sehe in ihm sogar den heilsamen, wenn auch grausamen Durchgang zu unseren Zielen, er wird (...) Europa reinigen, ,bereit‘ machen“, schreibt er an den Kollegen Kandinsky, den Maler und Theoriker des Geistigen in der Kunst. Der allerdings war erschrocken, „dachte, daß für den Bau der Zukunft der Platz auf eine andere Art gesäubert wird. Der Preis dieser Art Säuberung ist entsetzlich.“
Marcs anfängliche Kriegsbegeisterung entsprang keinem gläubigen Patriotismus, sondern viel eher dem diffusen Gefühl, daß sich der Ungeist des alten Europa überlebt habe und nur durch eine gewaltsame Katharsis in jene leuchtende Zukunft einer neuen Geistigkeit überführt werden könne, zu der er mit seiner Kunst beitragen wollte. Angesichts der Umbrüche in und durch die Wissenschaften, angesichts von Relativitätstheorie und Röntgenstrahlen, Filmkamera und Elektrizitätswerk konnte man sich – insbesondere als Künstler – entweder mit kulturpessimistisch verzerrtem Gesicht abwenden – oder aber euphorisch erschauern ob all des Neuen, eintauchen in die „Strahlen und Ströme“, um freudig den endgültigen Sieg des Geistes über die Materie zu erwarten.
Franz Marc tat das letztere. Dabei gilt der 1880 geborene Marc heute gern als expressiver Vertreter der Tiermalerei, als Schöpfer einer fortschrittlichen Niedlichkeit, artifiziell, aber artig, dessen verspielte Farbenfreude jedem Kinderzimmer zur Zierde gereicht.
Wunsch und Wahrheit
Dieses Klischee wird in Münster von einer Ausstellung (und einigen äußerst lesenswerten Essays im umfangreichen Katalog) in gewisser Hinsicht korrigiert. Unter dem Titel „Kräfte der Natur“ versammelt sie Bilder und Aquarelle, Holzschnitte und eine Vielzahl von Zeichnungen aus den Jahren 1912 bis 1915, dem „Spätwerk“, was bei einem Künstler, der nur 36 Jahre alt wurde, einigermaßen zynisch klingen muß. Und dennoch: in diesen Jahren tat sich vieles, ja Entscheidendes in der Entwicklung Franz Marcs, das nur ansatzweise verwirklicht werden konnte.
Seine ersten Versuche, das Unsichtbare hinter dem Sichtbaren zu malen, gehen auf die Jahre zwischen 1910 und 1912 zurück. Marc setzte sich mit dem Futurismus auseinander und hatte zusammen mit seinem Freund Macke Robert Delaunay in seinem Pariser Atelier besucht. Ausgehend von den Tierbildern lösten sich nun allmählich die Begrenzungen auf („Reh im Klostergarten“, 1912), ersetzten die Farben die Konturen, während die Körper durchscheinend wurden und dabei zugleich eine innere Leuchtkraft gewannen („Bergziegen“, 1913). Von dort aus war es nicht mehr weit bis zu den „Kleinen Kompositionen“, auf denen sich nur noch mit Mühe Gegenständliches entziffern läßt.
Neun „Kandinskys“ habe er heute gemalt, übermittelt er noch im Februar 1916, wenige Wochen vor seinem Tode, per Feldpost an seine Frau Maria. Sie dienten allerdings, wie er hinzufügte, einem „ganz nützlichen Zweck“, für den er auch keine Leinwand brauchte, sondern große Zeltplanen benutzte, welche die eigenen Stellungen vor der feindlichen Luftaufklärung verbergen sollten. Die abstrakte Malerei einmal als angewandte Kunst: im Dienste der militärischen Tarnung – weit vor Paul Virilios Medienblick. Auch eine Art „Gegenaufklärung“?
Ende der Sichtbarkeit
Das Sichtbare war nicht mehr entscheidend, weil es längst keine Wahrheit mehr enthielt. Wo das Wissen über die Welt immer mehr von abstrakten Theorien bestimmt wurde, die „Kräfte der Natur“ sich im wesentlichen in abstrakten Meßwerten äußerten, konnte die Kunst des Sichtbaren, die Malerei, kaum etwas anderes werden als – abstrakt.
Auf „Kämpfende Formen“ (1914) züngelt ein rotierender Feuerball im linken Bildteil nach allen Seiten, greift auf ein schwarzblaues Gebilde in der rechten Bildhälfte über, das sich seinerseits zentrifugal einigelt. In der typischen Marcschen Farbsymbolik gerät hier der Dualismus von Geist und Materie zum apokalyptischen Kampf, zum gemalten Widerspruch zwischen reiner Energie und erstarrender Form. Aber auch als geträumte Präfigurationen des Krieges, als optischer Widerschein der „Stahlgewitter“, in denen jegliche Materie sich auflöst, bleibt das Werk lesbar.
Fast alle Bilder aus diesen Jahren bezeugen einen Hang zur Ambivalenz, ein Wechselspiel aus Destruktion und Konstruktion. Noch offensichtlicher, weil auf die pure Zeichnung reduziert und ohne die wabernden Effekte der Farben, wird dies im sogenannten „Skizzenbuch aus dem Felde“ (1915), insgesamt 36 Einzelblätter mit unterschiedlicher Thematik. Zwischen Bangen und Hoffen entstanden hier Flüchtigkeiten für das Kommende, das ganz anders kam, entstanden die Vorentwürfe zu einer Schöpfungsgeschichte, aber auch eine Zeichnung wie „Streit“, in der Marcs Erlebnis des Krieges, des Granatfeuers und der Materialschlachten komprimiert und zugleich auf artistische Weise überhöht erscheint, als Faszinosum: eine ständige Bewegung, ein Ineinanderwirbeln der Formen, die sich verschlingen, voneinander lösen, aufsteigen, abstürzen, sich in weichen Bögen neu gruppieren, um aufgesplittert zu werden von diagonalen Pfeilen.
Malerei als Chaosforschung und Suche nach einer anderen Ordnung – mit einem jähen Ende. Marcs mystisch aufgeladener Neuplatonismus stand voller Optimismus am Anfang einer Entwicklung der Umwertung aller Werte – und gegen sie. Aus ihrem Kokon entpuppte sich am Ende ein ganz anderes Reich von dieser Welt, das Dritte, dem auch Marcs Bilder nur eines waren: entartet, sonst nichts.
„Franz Marc. Kräfte der Natur – Werke 1912–1915“. Westfälisches Landesmuseum Münster, bis zum 15.5., Katalog: 36 DM. Zusammen mit der Marc-Ausstellung wird die Sammlung der Münchner Galeristen Etta und Otto Stangl gezeigt, die nach dem Krieg klassische Moderne mit den Zeitgenossen verband, mit Werken etwa von Kirchner, Klee und Poliakoff; Katalog: 42 DM. Beide Kataloge zusammen kosten in der Ausstellung 73 DM.
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