Die Kinder sollten es gut haben

Gestern begann in Bamberg der Prozeß gegen die Eltern von Tobias Hofmann / Der anderthalbjährige Junge starb im letzten Jahr an den Folgen schwerer Mißhandlungen  ■ Von Martina Habersetzer

Berlin (taz) – Die Öffentlichkeit hat ihr Urteil längst gefällt. Entsetzt raschelte der deutsche Blätterwald, als Ende August letzten Jahres herauskam, daß der eineinhalbjährige Tobias Hofmann aus Hirschaid bei Bamberg an den Folgen schwerer elterlicher Mißhandlungen gestorben war. Frank und Gisela Hofmann, hatten zunächst eine Entführung vorgetäuscht. Zu diesem Zeitpunkt aber war Tobias schon tot, gestorben an den Folgen eines Fußtritts seiner 21jährigen Mutter. Den Leichnam hatte der 24jährige Vater in eine Mülltonne geworfen.

Unter starken Sicherheitsvorkehrungen begann gestern am Landgericht Bamberg der Prozeß gegen Frank und Gisela Hofmann. Schon allein die Anklageschrift macht deutlich, daß das junge Paar mit der Erziehung seiner Kinder völlig überfordert war. Wenige Wochen vor der Tat hatte Gisela Hofmann ein Kind geboren, das dritte innerhalb von gut zwei Jahren. Ihr Mann verdiente das Geld für die Familie im Schichtdienst in der Motorenfabrik. Nebenher arbeitete Frank Hofmann rund 40 Stunden im Monat auf dem Bau, um Schulden in Höhe von 50.000 Mark abzutragen. Am Mittag des 3. August verlor Gisela Hofmann die Beherrschung: Aus Wut darüber, daß das Kind nicht aufhören wollte zu greinen, obwohl doch der Vater aus der Nachtschicht kam und schlafen mußte, trat sie zu. Obwohl es dem Kind nach dem Tritt in den Bauch immer schlechter ging, habe sich Gisela Hofmann laut Anklage geweigert, einen Arzt zu rufen. Zu diesem Zeitpunkt, so Staatsanwalt Lieb, wäre Tobias noch zu retten gewesen.

Wurde Tobias kaltblütig ermordet, oder handelten die Eltern aus purer Verzweiflung? Sie seien völlig auf sich allein gestellt gewesen, schilderte das junge Paar gestern seine Familiensituation. Bei der Geburt des ersten Sohnes war Gisela Hofmann 18 Jahre alt. Sie und ihr Mann nahmen früh, zu früh, allzu große Verantwortung auf sich, die Sorge um drei Kinder, ein riesiger Schuldenberg. Eine Familiensituation, die bei mißhandelnden Eltern häufig anzutreffen ist, meint Professor Wilfried Rasch, einer der bekanntesten deutschen Gerichtsgutachter, gegenüber der taz. Die nach außen zur Schau gestellte Fassade von Leistung, Lebensbewältigung und Unerschütterlichkeit bricht unter heftigem Streß schnell zusammen. Hilfe von außen gibt es nicht, oder sie wird nicht als solche erkannt. Die Familie „verteidige sich dann festungsartig nach außen“ und richte Frust und Aggression gegen die eigenen Kinder. Zu Mißhandlungen, so Rasch, greifen jedoch vor allem „randständige Leute“, Menschen, die selber in ihrer Kindheit oft wenig Zuneigung erfahren haben. „Sie hat nicht gewußt, wohin mit ihren Kindern“, sagt Gisela Hofmann über ihre eigene Mutter.

„Wir haben unsere Kinder geliebt“, sagte Frank Hofmann gestern vor Gericht. Die Hofmanns wollten, daß es den dreien gut geht. Immer mußte es neue Kleidung sein, alles sollte „picobello“ aussehen. Ein großes Auto, ein Wohnwagen, eine teure Wohnung – das junge Paar setzte sich selbst unter enormen Druck. Und dann spielten die Kinder nicht mit, die beiden Jungen hatten Eßschwierigkeiten und spuckten häufig ihre Mahlzeit wieder aus. Ein Phänomen, das Rasch häufig bei Mißhandlern erlebt hat: Die Kinder weigern sich, zu funktionieren, Bestrafungen wiederum werden durch das „bockige“ Verhalten des Kindes gerechtfertigt.

Die tödliche Kindesmißhandlung sei eine sich mit eigener Dynamik entfaltende Familienneurose, meint Rasch. Es sei geradezu widersinnig, wenn die in vielen ähnlichen Fällen angesammelten kriminologischen Erkenntnisse allenfalls soweit zur Kenntnis genommen werden, um im nachhinein die eingetretenen Ereignisse möglichst geistreich zu kommentieren. Alle Anstrengungen sollten sich vielmehr darauf richten, den Opfern und Tätern zu helfen. Für Tobias Hofmann kommt eine solche Hilfe zu spät. Am 19. Mai soll das Urteil gesprochen werden.