: Vom Autofahren in Washington Von Andrea Böhm
Es war klar, daß das irgendwann passieren mußte. Schließlich lebe ich in Washington, Hauptstadt der Strafzettel, Abschleppdienste und der Hersteller von kryptischen Halteverbotsschildern. Das Auto, in der Nacht zuvor nach der üblichen extensiven Suche nach einem Parkplatz in eine schachbrettgroße Lücke gequetscht, war weg. Abgeschleppt, na klar. Wer soll schon mitten in der Nacht dieses Schildchen entziffern, wonach ab sieben Uhr morgens am rechten Randstein die Straße gefegt wird und absolutes Park- und Halteverbot einzuhalten ist. Auf zum Verkehrsbüro, Strafgebühren abdrücken, weiter zum Abschleppplatz, um das Gefährt auszulösen. Es versteht sich von selbst, daß beide Orte Meilen voneinander entfernt sind.
Einen halben Vormittag in der Warteschlange der „Traffic Adjudication“, dem Kraftverkehrsamt, zu verbringen erweitert den Horizont ungemein – vorausgesetzt, man hat Zeit, interessiert sich für Soziologie und menschliche Dramen. Das geliebte Auto auszulösen kostet hundert Dollar plus aller ausstehenden Strafzettel – manche schieben 300 Dollar über den Schaltertisch. Das ist für so manchen ein Wochenlohn, der da in der Staatskasse verschwindet. Entsprechend unerschöpflich ist der Vorrat an Schmähungen und Verwünschungen der Versammelten für die Gattung der „Parking Aides“ – jene Polizisten, die rund um die Uhr nichts anderes zu tun haben, als Strafzettel auszustellen. 90 Stück pro Schicht ist das von der Stadt vorgegebene Plansoll. 2,3 Millionen Strafzettel kommen so pro Jahr zusammen, 14.000 abgeschleppte Autos (darunter meines). Macht summa summarum 58 Millionen Dollar, die auf diese Weise ins Stadtsäckel fließen. Nützt nichts, denn die Stadt steht trotzdem kurz vor dem Bankrott. Daß der Finanzkollaps mit ihrem sauer verdienten Geld vielleicht noch ein Zehntelsekündchen hinausgezögert wird, findet in der Schlange beim Kraftverkehrsamt keiner tröstlich. Soll die Bürgermeisterin doch in Moskau Schulden eintreiben. Die mittlerweile aus der Völkergemeinschaft ausgeschiedene Sowjetunion schuldet der Stadt Washington Strafgebühren über mehrere Millionen Dollar.
Ich bin an der Reihe. „Roter Chevrolet, Kennzeichen 487 Strich 390. Gestern an der 16. Ecke T-Street abgeschleppt.“ Mein Gegenüber hackt kurz auf die Computertastatur, würdigt mich keines Blickes und raunzt. „Gibt's nicht.“ „Natürlich gibt's den. Gestern war er noch da.“ „Wir haben ihn nicht. Ist wahrscheinlich geklaut.“
Also zurück nach Hause, um eine Strafanzeige aufzugeben. Immerhin, die Washingtoner Polizei macht Hausbesuche und schickt einen Streifenwagen mit einer Polizistin vorbei. Officer Leo benötigt eine halbe Stunde, um den Papierkram zu erledigen, und zeigt dabei nach Aussagen meines Lebensabschnittsgefährten ein „sehr gewinnendes Lächeln“. Ich kann das weder bestätigen noch dementieren, weil Officer Leo mich nicht angelächelt hat. Dafür hat sie bei Verlassen des Hauses meine Schlüssel eingesteckt.
Am nächsten Tag kriege ich, wieder per Hausbesuch, meine Schlüssel zurück. Zehn Tage später hat die Polizei meinen Chevrolet gefunden. Auf dem städtischen Abschleppplatz. Ich möchte bitte die hundert Dollar bezahlen und das Auto abholen. Sonst wird eine Stellgebühr berechnet.
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