■ PLO-Machtantritt im Gaza-Streifen und Jericho verzögert: Verkehrte Welt
Die PLO beweist derzeit ein ungeahntes Talent, historische Augenblicke zu vermasseln. Zum ersten Mal in der Geschichte des israelisch-palästinensischen Konfliktes sollten an diesem Wochenende palästinensische Ordnungshüter mit Uniformen und Waffen ihren Dienst in den besetzten Gebieten antreten. Aber sie kamen nicht. Gleichzeitig sollten Palästinenser zum ersten Mal eine eigene Regierungsbehörde in den besetzten Gebieten ernennen. Aber die Kandidaten wurden bislang nicht nominiert. Und vor zwei Wochen hat ein Palästinenser namens Arafat einen Israeli namens Rabin tatsächlich darum gebeten, die Besatzungstruppen aus dem Gaza-Streifen doch ein bißchen langsamer abzuziehen als geplant. Es geht in allen diesen Fällen um das gleiche Problem: In Tunis hat man sich noch nicht entschieden, wer im zukünftigen palästinensischen Teilautonomiegebiet welche Machtposition innehaben soll.
Hintergrund sind nicht nur interne Machtkämpfe in der PLO. Es ist auch ein Konflikt zwischen „innen“ und „außen“, wie die palästinensische Gesellschaft in den besetzten Gebieten und die Exil-Gesellschaft der Flüchtlinge außerhalb genannt werden. Die PLO war vor allem eine Organisation der Flüchtlinge. Die Palästinenser in den besetzten Gebieten waren von ihr lange Zeit weitgehend abgeschnitten.
Vordergründig geht es derzeit um die Frage, wie viele Positionen die PLO an Personen von „innen“ und wie viele an Leute von „außen“ vergeben wird. Doch die Postenvergabe ist auch ein erster Testfall dafür, wie die Palästinenser in ihrem ersten Autonomiegebiet Politik machen werden. Die Palästinenser „innen“ kennen die besetzten Gebiete nicht nur besser, sondern von ihnen sind auch die wichtigsten Impulse für die neue Entwicklung im Nahen Osten ausgegangen. Sie haben in ihren Auseinandersetzungen mit der Armee, aber auch im Kontakt mit der zivilen Gesellschaft der Besatzer das realistische Verhältnis zu Israel entwickelt, das für jede politische Lösung des Konfliktes vonnöten war. Und sie haben in dieser Zeit eine eigenständige politische Kultur ausgebildet. Der Jerusalemer Politiker Feisal Husseini formulierte es einmal so: „Wir haben die Demokratie von Israel gelernt, aber wir blieben von ihr ausgeschlossen.“
Das Autonomiemodell für den Gaza-Streifen und Jericho ist das Produkt von Verhandlungen zwischen der PLO und Israel. Die früheren palästinensischen Delegierten, die vorher in Washington verhandelten, hatten weitergehende Forderungen gestellt. Dem Autonomiemodell in seiner jetzigen Form hätten sie ihre Zustimmung vermutlich verweigert, da es den Palästinensern vor allem durch die Ausklammerung der israelischen Siedlungen, aber auch durch die äußerst schmalen Kompetenzen bei der Übernahme des verelendeten Gaza-Streifens schlechte Chancen für ein Gelingen dieses Experimentes einräumt. Der Konflikt war also vorprogrammiert.
Die PLO-Führung, allen voran der Vorsitzende, hat außerdem Grund zu der Befürchtung, daß ihr autokratischer Führungsstil in den besetzten Gebieten wenig Freunde finden wird. Doch würde sie den Palästinensern „innen“ und „außen“ einen schlechten Dienst erweisen, wenn sie sich weigerte, das vorhandene Potential von politischer Erfahrung und Sachkenntnis für den schwierigen Aufbau im Gaza-Streifen und in Jericho zu nutzen. Nina Corsten
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