: Vom Kaufhausdach ins Kabinett
■ Skulpturen aus Terrakotta und Fimo von Thomas Schütte in der Kunsthalle
In der Eingangsrotunde der Kunsthalle sieht es aus, als ob die Ausstellung von Thomas Schütte nicht mehr fertig geworden sei: Teils schön auf die Säulen bezogen positioniert, teils noch unter den Eisenbügeln der Transportverpackung belassen, dabei manche noch mit an die Nationalfarben erinnernden Bändern verzurrt, stehen 21 stilisierte und verschlossen wirkende Figuren, übergroße Vasen und Säcke aus Terrakotta herum.
Es ist die Gruppe der „Fremden“, die Thomas Schütte 1992 für die Documenta IX entworfen hatte. Dort standen die menschengroßen Figuren zentral und doch irgendwie deplaziert auf dem alten Vordach des modernen Kaufhauses gleich neben dem Friderizianum.
In Hamburg aber ist der Titel dieser Gruppe ergänzt um den Zusatz „Feierabend 17 Uhr“: Das überdeckt leichthin und anekdotenhaft das eigentliche Thema so einer Aufstellung von Kunst, die nicht direkt auf einen speziellen Raum hin gearbeitet wurde: Nämlich wie kompliziert es ist, die Ordnung einer Ausstellung in vorgegebenen Räumen zu finden.
Architektur ist seit über zehn Jahren ein zentrales Bezugsfeld für den in Düsseldorf lebenden Künstler. Als Schüler des Maler-Stars Gerhard Richter hatte er sich gegen die Übermacht der Malerei für eher plastische und konzeptuelle Positionen entschieden. 1986 stellte er ein rotes Tor in den Jenischpark und als Mahnmal für ermordete Widerstandskämpfer einen „Tisch mit zwölf Stühlen“ auf einen Platz in Niendorf. Die Hamburger Kunsthalle besitzt den Zyklus „Hauptstadt II“ von 1984, acht rostrote Tafeln mit ovalen Bildfeldern, in denen in einem Straßenraster monumentale Architektur ihre Schlagschatten wirft. Die dominanten Phantasiegebäude sind dabei Vergrößerungen von Alltagsgeräten und stellen sich bei genauer Betrachtung als Axt oder Flasche heraus.
Oft inszeniert Thomas Schütte seine ganz persönliche Kunst-Bühne in Modellen, die er dann fotografiert. So tanzen industrielle Spielzeug-Figuren auf dem Theater der Schlagworte, zeigen Reaktion auf Worte wie „Fortschritt“ oder „Freiheit“. Über solche Szenarien kam der inzwischen zu den wichtigsten jungen deutschen Plastikern zählende Schütte immer stärker zur Figur, dem Thema dieser Ausstellung, für die der gesamte Gang mit den Kabinetten der Modernen Kunst auf der Nordseite der Kunsthalle leergeräumt wurde.
Die Brunnen- und Denkmalentwürfe, die glasierten Keramikköpfe und die grotesken Figurinen aus dem Knetmaterial Fimo – wie die puppenartigen, zweiköpfigen, körperlos auf Stelzen stehenden „united enemies“ (“vereinigte Feinde“) – erzählen Kabinett für Kabinett eine andere, neue Geschichte von Verlorenheit und Deformation.
Mit dem Spiel der unterschiedlichen Dimensionen zwischen Kunstmodell und Menschenmodell und dem Interesse an der Karikatur reiht sich Thomas Schütte in eine seit dem Manierismus immer wieder auftauchende Kunsttradition ein. Der vierzigjährige Künstler zeigt sich in dieser sehenswerten und präzise aufgebauten Schau als Allround-Talent, er setzt sich allerdings auch der Gefahr einer gewissen Verflachung aus.
So sind die Plastilin-Figuren auf die Dauer zumindest als Fotodrucke vielleicht zu gefällig und die Arbeit „Lager“ von 1978 ist nur ein alter Hut eingefrorener Prozeßkunst im Stil von Franz Erhardt Walter: Aus einem Stapel von Farbtafeln soll sich der Benutzer einen Dreierset nach eigener Wahl zusammenstellen – und die Museumssituation erlaubt das natürlich nicht mehr.Hajo Schiff
Katalog 32 Mark, Hamburger Kunsthalle, bis 26. Juni (danach 3. 9.-16.10. im Würtembergischen Kunstverein, Stuttgart).
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