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Große Koalition rettet Bremen

Die Handballerinnen von Walle Bremen ereilt der Erfolg völlig unvorbereitet, nachdem sich der Mäzen samt Kohle verabschiedet hat  ■ Von Markus Daschner

Bremen (taz) – Alte Liebe rostet so wenig wie alte Rechnungen, und Leszek Krowicki (36), Diplom-Handballer und Trainer der deutschen Handballmeisterinnen 1994, TuS Walle Bremen, hat noch eine Rechnung offen. „Ich werde beweisen, was ich als Trainer kann.“ Morgen ist Zahltag. Da stehen die Frauen vom TuS Walle Bremen im zweiten Endspiel um den Europapokal der Pokalsieger gegen Ferencvaros Budapest. Das Hinspiel haben sie mit 21:23 verloren.

Trotz der Niederlage verbuchen die Handballerinnen mit der Endspielteilnahme den größten Erfolg ihrer Vereinsgeschichte, der sie völlig unvorbereitet ereilte. Vor 15 Monaten hatte sich Walles „Mäzen“ Volker Brüggemann (52) Knall auf Fall verabschiedet und seinen Jahresetat von 1,4 Millionen Mark mitgenommen. Damit schien das Ende für die Handball- Abteilung des TuS Walle besiegelt: Von der Nordsee-Liga bis zur deutschen Meisterschaft und zurück. Es kam anders. Eine große Koalition von Bremer Kommunalpolitikern übernahm das Brüggemann-Erbe und versuchte, die abgestellte Karre aus dem Dreck zu ziehen. Jens Eckhoff, CDU-Bürgerschaftsabgeordneter mit Vorbildung im American Football, übernahm als neuer Frontmann die Managerrolle beim TuS Walle. Claus Dittbrenner, SPD-Fraktionsvorsitzender in der Bremer Bürgerschaft, ging im Hintergrund Klinken putzen bei Sponsoren.

Das Unternehmen war heiß. Brüggemann hatte über Jahre viel Geld in den TuS Walle gepumpt, mit seinem Großfürstengehabe aber gleichzeitig die meisten auf einen seriösen Ruf bedachten Sponsoren erfolgreich in die Flucht geschlagen. Um den Verein herum hatte sich eine neureiche, halbseidene Geschäftswelt getummelt mit starkem Drang zu Protz, Prunk und Sprüchen. Volker Brüggemann selbst muß sich vor dem Bremer Landgericht wegen Betrugs in zweistelliger Millionenhöhe verantworten.

Auf so ein Pflaster treten Politiker ungern. Die große Koalition zur Rettung des Vereins war deshalb ebenso ungewöhnlich wie notwendig. „Ich wollte vermeiden, daß ein mögliches Scheitern allein mit dem Namen meiner Partei verbunden worden wäre“, sagt Manager Eckhoff heute. Man habe „endlich mal nicht nur labern, sondern etwas Konkretes tun“ wollen, sagt der Sozi Dittbrenner.

Walles Frauen waren unter Brüggemann Vollprofis, angestellt bei der Sportmarketing-Firma KSM und dauerhaft fürs Handballspielen freigestellt. „Die Gehälter wurden von einem Tag auf den anderen nicht mehr gezahlt“, erinnert sich Eckhoff. Noch heute gibt es deshalb offene Prozesse vor dem Bremer Arbeitsgericht. Die Frauen mußten arbeiten, halbtags die einen, andere wurden über das Arbeitsamt als Umschülerinnen vermittelt. Mannschaftsführerin Dagmar Stelberg erinnert sich: „Die Spielerinnen aus dem Ostblock hatten gravierende Umstellungsprobleme“, die Ungarinnen und Polinnen wie auch die Spielerinnen aus der ehemaligen DDR, die zusammen das Gros der Mannschaft ausmachten. Heute ist von den vierzehn Spielerinnen nur noch die Ukrainerin Marina Basanova Profi.

Dann mußte eine neue Vermarktungsfirma her. „Brüggemann hatte mit der KSM alle Vermarktungsrechte, wir mußten ganz von vorne anfangen“, erzählt Claus Dittbrenner. Die große Koalition bewährte sich. Beide Politiker haben vorzügliche Verbindungen in die Wirtschaft und zur Bremer Sparkasse. Dort arbeitet in der obersten Etage der CDU-Bürgermeisterkandidat Ulrich Nölle neben Sparkassen-Chef Friedrich Rebers, der in SPD-Krisenzeiten immer wieder als Finanzsenator gehandelt wird. Die Frage von schnellem Geld ist eben auch eine Frage von schnellen Krediten.

Vom Jahresetat 1994/95 sind knapp 700.000 Mark akquiriert. Der Bedarf liegt bei 800.000 Mark. Allein drei „Sechsstellige“ hat die neue Vermarktungsfirma BSI an der Angel, darunter den Philip- Morris-Konzern Kraft-Jacobs-Suchard, Standard Elektrik Lorenz (aus alter Zeit), und neuerdings will auch die Stuttgarter Gutachterfirma Dekra einsteigen. „Wenn wir den Europapokal gewinnen, könnte sich die Mannschaft im nächsten Jahr selbst tragen“, hofft BSI-Geschäftsführer Michael Glintenkamp, ebenfalls eine CDU-Lokalgröße wie Eckhoff.

Bei allen geschäftlichen Berg- und-Tal-Fahrten hat der TuS Walle auch eine Konstante. Die heißt Leszek Krowicki und hat eine ganz persönliche Geschichte. Krowicki war schon von 1990 bis 1992 Trainer in Walle und hatte mit Brüggemann per Handschlag seinen Vertrag um ein weiteres Jahr verlängert. Als er aus dem Urlaub kam, war sein Posten besetzt. „Ich habe gedacht, mich trifft der Schlag.“ Vor dem Arbeitsgericht in Bremen hat er damals eine satte Abfindung eingeklagt. Als er im Mai 1993 dann erneut von Eckhoff ein Trainer-Angebot in Bremen- Walle bekam, war er skeptisch. „Meine Frau hat gesagt: Du bist verrückt, wenn du wieder hingehst.“ Aber er ging. „Ich wußte sicher, daß Brüggemann weg war und ich für den sportlichen Bereich allein verantwortlich sein sollte.“

Mannschaftsführerin Dagmar Stelberg ist nicht die einzige, die seine Arbeit für die Basis der beiden Meisterschaften 1991/1992 hält, als Krowicki offiziell noch als Kotrainer firmierte. Der Pole hat jetzt aus einem „zusammengekauften Haufen“ ein Team geformt und die individuellen Spielkünste zu einer „Einheit mit Erfahrung“. Das Ende der Ära Brüggemann hat sich geschäftlich wie sportlich als Befreiungsschlag entpuppt. Und die Zukunft soll noch rosiger werden: „Die Mannschaft ist hungrig, sie will gewinnen“, sagt Krowicki. Mit einem Sieg seines Teams schlägt auch für ihn die Traumstunde.

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