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Ein Mann sieht schwarz

■ „Gesänge nordamerikanischer Neger“? Jürgen Wölfers Jazz-Lexikon, ein höchst entbehrliches „Standardwerk“

Vorsicht: Wer sich bisher nicht zu fragen traute, wird jetzt mit 570 Seiten Makulatur bestraft. „Jürgen Wölfer weiß auf alle Fragen rund um den Jazz die richtige Antwort...“, verspricht der Werbeslogan auf dem Paperbackdeckel.

Was also hat sich während der vergangenen 15 Jahre in der Jazzwelt des Diplompädagogen Jürgen Wölfer verändert, fragen wir? Daß Wölfer „Productmanager Jazz“ bei Aris-BMG-Ariola wurde. Dafür hätte man ihm ja nachträglich auch noch gratulieren können. Aber gleich so'n Wirbel? Warum er nämlich seinem 1979 veröffentlichten „Handbuch des Jazz“ (Heyne) noch ein „Lexikon des Jazz“ (Heyne) folgen lassen mußte, bleibt dem Leser leider gänzlich unverständlich.

Was sich da zum Lexikon gemausert haben will, entpuppt sich schnell als Neuauflage des Vorgängers – angedickt mit Musikerbiographien, deren Informationsgehalt gegen Null gekürzt geht und deren Auswahl zwar subjektiv begründet wird, aber um so argloser begrenzt scheint. Die Subjektivitätskeule ersetzt bei Wölfer zumindest nicht das fehlende Konzept.

Auch sein erhobener Zeigefinger nicht, mit dem er die Miles-Davis-Biographie kurzkritzelt, als wäre der Trompeter „mit seinen begrenzten technischen Fähigkeiten“ nur ein Treppenwitz der Jazzgeschichte gewesen. Wölfers Definition des Blues als „weltliche Gesangsform der nordamerikanischen Neger“ muß noch nicht schrecken. Wenn er dann jedoch von „negroiden Stilmitteln“ zu schwafeln beginnt, wird's schon mulmiger. Wenn man ihn deshalb auch nicht gleich an den Rassistenpranger heften muß – etwas mehr (Jazz-)P.C. hätte auch Wölfer gut gestanden.

Sein Outing besorgt er jedoch gleich in der Einleitung ganz wie von selbst. „Wer hat je schon von Earle Spencer gehört“, fragt er da, „weiß noch etwas zu Gene Roland zu sagen oder warum Gil Evans eine Kultfigur ist und nicht auch Johnny Richards? Weil sie weiß sind und nicht mit Miles Davis gearbeitet haben?“ Daß Wölfer selbst die Klärung der einzigen Frage seines Buches schuldig bleibt, mag als Seminarkalauer noch durchgehen, daß Gil Evans zwar mit Miles gearbeitet hat und dennoch Wölfers Hautfarbe hatte – nun denn; daß jedoch nicht eine einzige Platte mit den von ihm als unterschätzt entdeckten Weiß-Jazzern in der im Anhang zu bestaunenden „Grundlage einer Jazz- Schallplattensammlung“ erwähnt wird, grenzt an Selbstverarschung.

Also: Fragt Wölfer! Er schreibt Miles Davis kurzerhand zur „Epigone“ blaß und nennt uns endlich mal die wahren Schöpfer des Jazz, hat aber auch die ethnologische Trumpfkarte parat: „Die afrikanischen Gesellschaften waren nicht so primitiv, wie sie oft dargestellt wurden.“

Apropos Anhang. Warum fehlen in dem zweiseitigen Schaubild „Jazz-Labels 1940 bis 1990“ alle außeramerikanischen Plattenfirmen? Und wem nützt es, das Stichwort „Jazz-Soziologie“ aufzuschlagen, um dann zu lesen, daß Wölfer in den letzten 15 Jahren irgendwo den Satz aufschnappte, eine Sozialgeschichte des Jazz müsse erst noch geschrieben werden? Und schon liegt das Buch wieder geschlossen – noch eine Frage offen? „Jürgen Wölfer weiß auf alle Fragen rund um den Jazz die richtige Antwort...“ Schön, daß wenigstens sein Verlag das glaubt. Christian Broecking

Jürgen Wölfer: „Lexikon des Jazz“. Heyne Sachbuch, 573 Seiten, 24,90 DM.

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