: Ein Distanzprofi
Was man in der Wüste mit kaltem Blick sieht – ein Band mit Fotografien des Schriftstellers Paul Bowles ■ Von Mark Terkessidis
Der erste Eindruck, den das Durchblättern des Bandes mit Paul Bowles „Fotografien“ hinterläßt, ist Mitleid nicht unähnlich. Ein Mitleid mit der Person Paul Bowles, der lebenden Legende. Immer wieder in den letzten Jahren, seitdem man auch im deutschsprachigen Raum Bowles' Romane und Erzählungen wiederentdeckte, haben Journalisten ihn zu Hause in Tanger besucht und Interviews mit nach Europa gebracht. Ihre Berichte ähnelten sich stark. Bowles läßt jeden ein, er redet mit jedem, bleibt aber immer sehr distanziert.
Simon Bischoff hat nicht nur von 1989 bis 1991 immer wieder mit Bowles gesprochen und die Ergebnisse festgehalten, er hat durch Zufall in einer Truhe jene Fotos gefunden, die Bowles schoß, seit er sich Ende der 30erJahre eine Kamera anschaffte: „In einem Wandschrank hinter der Holztruhe lag eine bis zum Rand mit Utensilien gefüllte Schachtel; obenauf waren, glaube ich, austauschbare Bestandteile eines Staubsaugers. Darunter verbarg sich aber ein Schatz von Negativen über einem in einem Plastiksack aufbewahrten und scheinbar seit Jahren vergessenen und deshalb völlig ausgetrockneten Vorrat an Kif.“
Der Fund wird im Buch lückenlos dokumentiert. Man sieht Paul Bowles' Arbeitszimmer im Zustand von 1989, seinen marokkanischen Tisch mit Negativen, sein offenes Wandregal und schließlich die legendäre Truhe. Und wenn Bowles selbst auf der folgenden Seite auftaucht, wird leider allzu deutlich: Der Mann ist eigentlich schon tot, er ist der große „Dead White Male“, bei dem von Zeit zu Zeit junge Leute Teile seines Nachlasses finden. „Burroughs und Bowles haben überlebt, sie haben sich durchgesetzt“, schreibt Bischoff euphorisch in seinem Eingangs-Essay. Es bleibt aber der Eindruck, Bischoff habe diese Bilder aus Bowles' längst gelebtem Leben geholt.
Trotzdem gibt es keinen Grund, mit dem solcherart Ausgeschlachteten Mitleid zu haben. Bowles selber verhält sich zu seiner Umgebung gleichgültig, das gehört zu seiner Arbeitsweise. Früh, 1948, noch bevor sein erster Roman „Himmel über der Wüste“ erschien, schrieb Bowles in Fez eine Geschichte über seine „Methode“. In „Das runde Tal“ erzählt er die Geschichte des geistartigen Atl- jala, das in andere Wesen hineinschlüpfen kann. Als eines Tages ein Paar das Tal besucht, schleicht das Atl-jala in die beiden hinein. Beim Vergleich zwischen Mann und Frau fällt ihm auf: „Und doch gab es einen wesentlichen Unterschied: jedes Element war an Intensität vervielfacht, die ganze Sphäre des Seins war unermeßlich, grenzenlos. Nun verstand es, was der Mann in der Frau suchte, und es wußte, wie sehr er litt, denn dieses Gefühl der Vollkommenheit, der Vollendung, das er in ihr ahnte, würde er nie erreichen.“ Und es ist jene Intensität, jene Authentizität, die Bowles selbst ständig sucht, um sie zum Material seiner Geschichten zu machen.
Seine Fotos bilden umfassend das Lebensgefühl des frühen Touristen ab, als er noch ein Bohemien auf der Flucht vor der bürgerlichen Seßhaftigkeit war. Es gibt im vorliegenden Band eine Doppelseite, deren gegenüberliegende Fotos das mit erstaunlicher Genauigkeit vorführen. Rechts sieht man Bowles im Unterhemd und mit Sonnenbrille Kif rauchen, links werfen sich ein paar marokkanische Jungs am Strand für den Fotografen in die Brust. Vor Bowles' Kamera wirft sich die ganze marokkanische Fremde in Pose – und das nicht nur auf den vielen erotisch angehauchten Fotos junger Männer.
Oft findet man auf den Fotos seine Frau Jane und seine beiden marokkanischen Freunde Ahmed Yacoubi und Mohammed Marabet, jene besondere Triade des Anderen im Leben des Paul Bowles. Jane, Repräsentantin der „Intensität“ der „Frau“, deren Schreibblockade, deren Widerstand gegen die Literatur der äußerst konventionelle Bowles nie verstanden hat, wirkt auf den Fotos zunehmend hilfloser und kleiner. Ein Bild von 1962, aus dem Jahr, in dem sie endgültig aufhörte zu arbeiten, zeigt sie auf dem Wüstensand sitzend, und das Leid in den Psychiatrien der kommenden Jahre bis zu ihrem frühen Tod 1973 liegt bereits vollständig darin. Ahmed Yacoubi dagegen ist der kohärente „Einheimische“, dessen „Primitivität“ Bowles unbedingt erhalten will: „Ich habe ihn immer dazu ermutigt, so primitiv wie möglich zu sein..., das heißt natürlich, so zu bleiben, wie er war...“ Gleichzeitig transkribierte Bowles Geschichten, die ihm Yacoubi erzählte, in die Schriftsprache und half ihm, sie zu veröffentlichen. Yacoubi, der später auch zu malen begann, starb 1985 an Aids.
In Mrabet, dessen Storys Bowles ebenfalls aufschreibt, scheint er dann einen Partner gefunden zu haben, dessen Fremdheit er genießen kann und der gleichzeitig durch seine zynische Distanz davor gefeit bleibt, sich in den Zuschreibungen zu verlieren. Er nimmt Bowles nicht ernst.
Darin liegt die Grundkonstellation Bowlesschen Schaffens. Die (gewissermaßen konservative) Flucht vor den existentiellen Zweifeln der westlichen Zivilisation in die vermeintlich natürliche Ordnung der anderen, der von den westlichen Standards Ausgeschlossenen. Dort vermutet Bowles ein Mit-sich-selbst-identisch-Sein, das ihm um so beneidenswerter scheint, als es ihm unerreichbar ist. Den Schriftsteller Stenham in dem Roman „Das Haus der Spinne“ läßt er es so sagen: „Sie verkörperten das Geheimnis des Menschen, der in Frieden mit sich selbst lebt, einverstanden mit seiner Lösung des Lebensproblems; ihre Selbstzufriedenheit bestand darin, daß sie keine Fragen stellten.“ Sein menschliches Material will Bowles unbedingt unverfälscht erhalten, in der „Primitivität“, die er ihm zuschreibt.
Selbst angesichts der unverhinderbar ausbrechenden Zivilisation um ihn herum hat Bowles sich alle Mühe gegeben, der Welt der Marokkaner möglichst fremd zu bleiben. Er hat nie Arabisch gelernt, und manche seiner Bonmots kann man getrost rassistisch nennen: „Ja, ich glaube, das ist das Grundverständnis der Marokkaner [von Liebe], daß man alles auf ,Wieviel?‘ reduzieren kann. So arbeitet ihr Hirn.“
Der Dichter Alfred Chester, der ebenfalls in Marokko lebte, und seine Frau Jane seien verrückt geworden, sagt Bowles an einer Stelle im Interview, weil sie von anderen Menschen (ihren marokkanischen Partnern) besessen gewesen seien. Das Atl-jala wiederum greift in „Das runde Tal“ in das Leben der Menschen ein. Es verschafft dem Streit zwischen dem Mann und der Frau eine Lösung, indem es aus Mitgefühl mit der Frau den Mann über eine Klippe stürzen läßt: „Es würde lange dauern, bis es den Mut haben würde, je wieder in das Bewußtsein eines anderen Wesens einzudringen. Lange, sehr lange, vielleicht nie wieder.“
So wurde Paul Bowles ein Distanzprofi. Der Preis, den die anderen dafür zahlen, fällt ihm nicht auf. Aber gerade das macht seine Bücher und diese „Fotografien“ zu unschätzbaren Dokumenten. Auch vielleicht einer schon vergangenen Geschichte des Tourismus: Denn während Bowles' Seherfahrung sich über den Alternativ- zum Massentourismus verallgemeinerte, gibt es heute schon neue Formen, die Begegnungen ganz ausschließen. Abgeschlossene und vor der Armut bewachte Hotelghettos am sonnigen Strand.
„Paul Bowles Fotografien – ,Wie hätte ich ein Foto in die Wüste schicken können‘“. Herausgegeben von Simon Bischoff, Scalo Verlag, 255 Seiten, zahlreiche S/W- Abb., geb., 58 DM.
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