„Ausländerjagd“ am Vatertag

Polizei ließ rechtsradikale Angreifer auf Asylbewerber in Magdeburg gewähren / Sechs Verletzte, nur zwei Rädelsführer in U-Haft / „Beweise nicht schlagkräftig“  ■ Von Eberhard Löblich

Die Auseinandersetzungen begannen bereits am Donnerstag nachmittag. Mit Messern, Baseballschlägern und Eisenstangen machten rund 50 rechtsradikale Skinheads in der Magdeburger Innenstadt regelrecht „Jagd auf Ausländer“. Zuvor hatten sie die Schwarzafrikaner mit ausländerfeindlichen Parolen angepöbelt. Und als diese sich nicht vom Alten Markt entfernten, griffen die angetrunkenen Deutschen an und trieben die sechs Asylbewerber vor sich her durch die Fußgängerzone. Die Flüchtlinge suchten Schutz in der Gaststätte „Marietta-Bar“, die daraufhin von den Rechtsradikalen angegriffen und verwüstet wurde.

Das überwiegend türkische Personal der Gaststätte bewaffnete sich mit Messern und verteidigte sich gegen die Randalierer. Dabei wurden drei oder vier der Rechten durch Messerstiche in Beine, Rücken und Lunge verletzt. Gegen einen der türkischen Kellner hat die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. „Natürlich hat das Personal im Rahmen der straffreien Nothilfe gehandelt“, sagt Polizeipräsident Antonius Stockmann. Aber in diesem einen Fall müsse geprüft werden, „ob der Rahmen der Nothilfe nicht womöglich unzulässig überschritten worden“ sei.

„Die Hooligans riefen neonazistische und ausländerfeindliche Parolen und droschen auf die Schwarzen ein“, erzählt eine Kellnerin des Restaurants. Die Einrichtung der Bar wurde völlig verwüstet. Zwar gelang es der Polizei kurze Zeit später, die Lage in der Magdeburger City unter Kontrolle zu bringen, doch eskalierte das Geschehen danach erneut. Obwohl die Polizei bereits in Alarmbereitschaft versetzt war, zeigte sich die Einsatzleitung offenbar vollkommen unvorbereitet, als die Ausschreitungen wieder begannen. Stundenlang regierten rund 150 Rechtsradikale die Innenstadt.

Die Glatzen lieferten sich, unterstützt von angetrunkenen Mitläufern aus der Bevölkerung, mit Ausländern und einigen jungen Leuten aus der linken Szene Straßenschlachten. „Die Polizisten waren sogar in der Unterzahl gegenüber den rechten Randalieren“, sagt ein Augenzeuge. „Wir sind von der Entwicklung völlig überrascht worden“, gibt auch Polizeisprecher Burkhard Jach zu. Zahlreiche Beamte seien anderweitig im Einsatz gewesen, um „normale Vatertagsschlägereien“ zu schlichten.

Aus einer Straßenbahn brachen rund 30 Skinheads hervor und überfielen nach Aussagen von Augenzeugen einen Asylbewerber, den sie mit Eisenstangen und Knüppeln zusammenprügelten. „Der Mann muß schwerste Verletzungen davongetragen haben“, so ein Augenzeuge. Am Magdeburger Kabarett „Die Kugelblitze“ warfen randalierende Skinheads Steine auf Asylbewerber und Ausländer, ohne daß die Polizei einschritt. Erst nachdem Verstärkung aus der Bereitschaftspolizei und den umliegenden Kreisen eingetroffen war, gelang es der Polizei nach Stunden, die Lage unter Kontrolle zu bringen. Die Unruhen dauerten bis in den frühen Morgen.

Die Einsatzleitung hatte sich ursprünglich auf einen normalen Vatertagseinsatz eingestellt, obwohl den Beamten bekannt war, daß am Barleber See, einem Naherholungsgebiet am Rande von Magdeburg, rund 100 Skinheads kampierten. Auch dort kam es nach Angaben der Polizei zu Auseinandersetzungen.

Während rund 200 Beamte gegen die betrunkenen Randalierer in der Stadt vorgingen, riegelten weitere Einsatzkräfte alle Zufahrtsstraßen zur Innenstadt hermetisch ab. Die Beamten fingen zahlreiche Gruppen von Rechtsradikalen, aber auch Autonome und Asylbewerber ab, die ihren beteiligten Freunden zu Hilfe kommen wollten. Bei den Auseinandersetzungen wurden vier Hooligans schwer, aber nicht lebensbedrohlich verletzt. Über Verletzte unter den Asylbewerbern und Ausländern war der Polizei nichts bekannt. „Wir werden aber heute noch bei den Krankenhäusern und Rettungsdiensten nachfragen“, versprach der Polizeipräsident. Immerhin mußte er sich von Augenzeugen unter den Journalisten vorhalten lassen, daß die Ausländerfeinde einen türkischen Kellner erbarmungslos zusammenknüppelten, nachdem dieser von Polizisten entwaffnet und zu Boden geworfen worden war.

Die Polizei nahm 49 Menschen vorübergehend fest. Nach der Feststellung der Personalien wurden die Festgenommenen bis auf zwei Rädelsführer der Ausschreitungen wieder auf freien Fuß gesetzt. „Die Beweislage ist nicht schlagkräftig genug“, sagte Staatsanwalt Joachim Thied. Die beiden Rädelsführer wurden nicht wegen der Ausschreitungen in U-Haft genommen. Gegen sie lagen bereits Haftbefehle vor, weil sie Geldstrafen wegen anderer rechtsradikaler Straftaten nicht bezahlt hatten.

Am Freitag herrschte in der Innenstadt zwar Ruhe, doch die Polizei wollte ein erneutes Aufflammen der rechsradikalen Ausschreitungen aus Rache für verletzte Gesinnungsgenossen nicht ausschließen. „Dann sind wir aber besser auf derartige Ereignisse vorbereitet“, sagte Polizeisprecher Jach. Er kündigte verstärkte Streifeneinsätze an. Das Camp von rechtsradikalen Skinheads am Barleber See sei von diesen inzwischen geräumt worden.