: Fiktion und Wirklichkeit einer Einigung
■ Trotz der Verständigung auf die Gründung einer kroatisch-muslimischen Föderation in Bosnien bestehen zwischen beiden Seiten weiter starke Spannungen
Vereinbarungen sind das eine, die Realität ist häufig etwas anderes. Denn obwohl bei den Verhandlungen zwischen der bosnischen Regierung und der Führung von Herceg-Bosna – des international nicht anerkannten kroatischen staatlichen Gebildes in Bosnien – eine Übereinkunft erzielt wurde, blockieren seit einer Woche KroatInnen an zwei Stellen die Straße von Tomislavgrad nach Zentralbosnien. Die Lebensader Bosniens ist damit gesperrt. Die kaum konsolidierte Versorgungslage in Zentralbosnien ist nach Ansicht des UN-Hochkommissariats für Flüchtlinge (UNHCR) deshalb wieder „dramatisch“ geworden.
Seit Montag ist die Straße bei Lipa, in der Nähe von Tomislavgrad, blockiert. Die BlockiererInnen fordern die Aufklärung des Schicksals ihrer insgesamt 26 in der zentralbosnischen Stadt Bugojno im letzten Herbst verschwundenen Angehörigen. Wäre diese Forderung jedoch der einzige Grund für die Blockade, so meinen Sprecher der britischen UNO-Truppen, wäre ein so drastisches Mittel wohl nicht nötig. Und auch nicht, daß die Straße an einer zweiten Stelle, zwischen Prozor und Gornji Vakuf, unterbrochen wurde. Just an diesem Punkt trifft eine Alternativroute über Mostar auf die Hauptroute. Daß die ganze Aktion mit übergeordneten politischen Motiven zusammenhänge, sei „kein verwegener Gedanke“, meint ein britischer Offizier. Die Vermutung liege nahe, daß die Behörden von Herceg-Bosna die Demonstranten benutzten, um Druck auf die bosnische Regierung auszuüben.
Denn nach dem vorläufigen Ergebnis der Verhandlungen sieht die Bilanz für die kroatisch-herzegowinische Seite nicht gerade rosig aus. Der Kanton, der den Herzegowinern zugesprochen wird, deckt sich lediglich mit den historischen Grenzen der bisherigen Herzegowina. Die Führung von Herceg- Bosna beanspruchte aber weite Gebiete Zentralbosniens, denn der Staat Herceg-Bosna sollte ja mehr Territorium umfassen als nur die Herzegowina. Gerade wegen der geforderten Gebiete in Zentralbosnien wurde der Krieg im Krieg im April letzten Jahres vom Zaun gebrochen. In den nun getroffenen Vereinbarungen ist jedoch nicht einmal klargestellt, daß West-Mostar zur Hauptstadt Herceg-Bosnas werden könnte. Erstens, weil Mostar gemäß dem Abkommen zu einem gemischt verwalteten Kanton gehört, zweitens, weil die Stadt zudem unter die Kontrolle der Europäischen Union mit dem ehemaligen Bremer Bürgermeister Hans Koschnik als Administrator kommen soll. Zu der militärischen Niederlage im letzten Jahr kommt für die westherzegowinische Führung somit noch eine diplomatische Schmach.
Der Ärger der Kroaten darüber wird die Umsetzung der Einigung in die Realität behindern. Die Führungselite von Herceg-Bosna hat in den letzten Monaten nichts unterlassen, um ihren „Staat“ Herceg-Bosna auszubauen. So wurde die HVO, die bewaffnete Macht, von einem wilden, mit Söldnern durchsetzten Haufen zu einer echten Armee umgewandelt. Ministerien wurden geschaffen, die nun nach und nach aus den Orten Siroki Brijeg, Citluk und Grude in die designierte „Hauptstadt“ West-Mostar umziehen. Die Führungselite von Herceg-Bosna unter dem neuen „Präsidenten“ Kresimir Zubak hat in den letzten Monaten ihre Macht konsolidiert. Mit der Entlassung seines Vorgängers Mate Boban wurde das Haupthindernis für eine Übereinkunft mit der bosnischen Regierung beseitigt. Der unterdessen in Zagreb residierende Boban ist jedoch nach wie vor in die Machtstruktur von Herceg-Bosna eingebunden.
Der Krieg in Bosnien ist für die Elite in Herceg-Bosna ein gutes Geschäft. Dies zeigen nicht nur die Gebühren, die seit 14 Tagen für alle Lastwagen, die nach Zentralbosnien fahren wollen, erhoben werden, auch für jene des UNHCR und der UNO. Die von bosnischen Städten selbst organisierten Konvois, die erst seit März dieses Jahres wieder fahren dürfen, müssen weit mehr bezahlen: Die Angaben schwanken zwischen 1,000 und 7.000 Mark pro Lastwagen. Und die privaten Hilfsorganisationen erhielten vor der neuerlichen Blockade nur dann die Erlaubis zur Weiterfahrt, wenn die Hilfsgüter zu etwa gleichen Teilen in kroatische und muslimische Gebiete geliefert wurden. Dies hatte zur Folge, daß die Anlaufstellen für Hilfsgüter für die 170.000 Menschen in Herceg-Bosna vor Waren und Medikamenten überquellen, während die fast zwei Millionen Menschen in Zentralbosnien und Sarajevo weiter unter Mangel leiden. Die kroatisch-muslimische Föderation besteht somit bisher lediglich aus einem Waffenstillstand. Erich Rathfelder
Schwere Kämpfe zwischen Muslimen und Serben
Sarajevo (AFP) – Bosnische Regierungstruppen und serbische Verbände haben sich am Wochenende schwere Kämpfe um die nordbosnische Stadt Tuzla geliefert. Nach Unprofor-Angaben wurde in einem Umkreis von bis zu vierzig Kilometern um Tuzla geschossen. Bei Brgule, südlich von Tuzla, zählten Unprofor-Mitarbeiter allein am Samstag 170 Explosionen. Auch in Olovo, Dastansko und Kladanj wurde gekämpft. Innerhalb der Zwanzig-Kilometer- Zone um Sarajevo, in der keine schweren Waffen stationiert sein dürfen, entdeckten UN-Militärbeobachter am Samstag dennoch zwei davon.
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