: Die Kollegen feierten Vatertag
■ Magdeburgs Polizeiführung muß nach und nach die gravierenden Fehler eingestehen, die die Ordnungshüter anläßlich der fremdenfeindlichen Krawalle vom Himmelfahrtstag gemacht haben. Zum Teil hat das...
Magdeburgs Polizeiführung muß nach und nach die gravierenden Fehler eingestehen, die die Ordnungshüter anläßlich der fremdenfeindlichen Krawalle vom Himmel-
fahrtstag gemacht haben. Zum Teil hat das Nichteingreifen der Polizei die Eskalation der Gewalt erst herbeigeführt.
Die Kollegen feierten Vatertag
Noch am Freitag bestritt Magdeburgs Polizeipräsident Antonius Stockmann kategorisch, daß seine Einsatzleitung am Donnerstag auch nur einen einzigen Fehler gemacht habe. Nach und nach muß er jetzt die gravierenden Fehler in der Einsatzplanung und -leitung einräumen, die erst zur Eskalation der Gewalt in der Magdeburger Innenstadt beigetragen haben.
Doch chronologisch: Gegen 15.30 Uhr beginnen am Himmelfahrtstag etwa 30 bis 40 rechtsradikale Jugendliche am Breiten Weg aus einer Straßenbahn heraus die Menschenjagd auf eine kleine Gruppe von Schwarzafrikanern, die sich am Rande der Fußgängerzone getroffen haben. Sie treiben die Schwarzen durch die City, immer mehr angetrunkene Leute beteiligen sich an der unmenschlichen Jagd. Die Schwarzen flüchten in die von Türken betriebene „Marietta-Bar“. Während die Randalierer die Scheiben der Bar zertrümmern, stellt sich ihnen das türkische Personal und das eines benachbarten Döner-Imbisses mit Messern bewaffnet entgegen. Mehrere Randalierer werden dabei durch Messerstiche verletzt.
Um 15.38 Uhr geht nach Polizeiangaben der Notruf bei der Einsatzleitzentrale der Magdeburger Polizei ein. „Skinhead-Überfall am Breiten Weg“, lautet der Notruf. Zwar ist das erste Einsatzkommando fünf Minuten später am Tatort, aber die Besatzung des Streifenwagens wartet erst einmal ab. Erst nach 20 Minuten sind genügend Einsatzkräfte vor Ort, so daß sich die Beamten trauen, gegen die Randalierer vorzugehen. Nebenbei aber auch, und das mit besonderer Härte, gegen die türkischen Verteidiger der Schwarzafrikaner. Augenzeugen berichten, daß der Einsatz tatsächlich erst 20 Minuten nach dem Notruf begann. „Da war eigentlich schon alles vorbei“, sagt ein türkischer Kellner. Vor Ort sind zu diesem Zeitpunkt überwiegend Polizistinnen. Viele ihrer männlichen Kollegen haben durch einen Fehler der Einsatzleitplanung vatertagsfrei.
Wie ein Lauffeuer verbreitet sich unter den stark alkoholisierten Jugendlichen in der City das Gerücht, wonach die türkischen Kellner der „Marietta-Bar“ mindestens einen der deutschen Angreifer erstochen haben. Bis 16.45 Uhr strömen von den verschiedenen Vatertagsfeiern in der Innenstadt immer mehr angetrunkene Jugendliche in die Fußgängerzone. Rund 150 gewaltbereite Randalierer stehen etwa 30 überwiegend weiblichen Polizistinnen gegenüber. Den angetrunkenen Randalierern hat sich inzwischen auch eine Gruppe von etwa 30 türkischen und arabischen Asylbewerbern entgegengestellt. Immer wieder kommt es zu Rangeleien und Schlägereien zwischen den Asylbewerbern und der angetrunkenen fremdenfeindlichen Meute. Die völlig überforderte Polizei greift vorsichtig nur einzelne Beteiligte aus der Menge heraus und nimmt sie vorläufig fest. Darunter auch zahlreiche ausländische Bürger. Ein türkischer Kellner der „Marietta-Bar“, der von einem Polizisten bereits entwaffnet und auf den Boden geworfen wurde, ist den Schlägen und Tritten der Rechtsradikalen hilflos ausgeliefert.
Die eigentlichen Auslöser der Randale, rund 30 Skinheads, sind zu diesem Zeitpunkt längst wieder von der Bildfläche verschwunden. Sie haben sich in eine Straßenbahn geflüchtet und bleiben weitgehend unerkannt. Eine Zivilstreife verfolgt die Straßenbahn zwar noch geraume Zeit, verliert die Glatzen dann aber aus den Augen. Erst aufgrund von Zeugenaussagen kann einer der Rädelsführer der Menschenjagd auf die Schwarzafrikaner identifiziert werden. Gegen den 19jährigen hat der Haftrichter gestern nachmittag Haftbefehl wegen Landfriedensbruchs in einem besonders schweren Fall erlassen.
Gegen 17.25 Uhr kommt es im Breiten Weg zu einer neuen Welle der Gewalt. Bei weiteren Auseinandersetzungen wird ein deutscher Jugendlicher durch einen Messerstich in den Bauch verletzt. Die fremdenfeindliche Masse hetzt daraufhin Asylbewerber durch die City. Nach wie vor kriegt die Polizei die Situation nicht unter Kontrolle. Erst um 17.30 Uhr fordert der diensthabende Kommissar in der Einsatzleitzentrale aus den umliegenden Kreisen Verstärkung an, die dienstfreien Magdeburger Polizisten, die noch nicht selbst betrunken sind, werden in den Dienst beordert. Um 20.45 Uhr stürmen Jugendliche aus einer Straßenbahn und stürzen sich, mit Latten und Eisenstangen bewaffnet, auf einen Asylbewerber. Der wird am Kopf schwer verletzt, der Vorfall bleibt der Polizeispitze unbekannt. Wenige Minuten später versuchen rund 40 Randalierer, vor der Polizei in ein italienisches Restaurant am Breiten Weg zu flüchten. Sie liefern sich Auseinandersetzungen mit dem Personal, zertrümmern die Scheiben. Einzelne Polizisten sehen weitgehend untätig zu, greifen erst ein, als genügend Verstärkung vor Ort ist. Dabei nehmen sie allerdings zunächst Mitarbeiter dieses und eines weiteren Restaurants fest, die den bedrängten Kollegen schneller als die Polizei zu Hilfe eilten. Erst tief in der Nacht entspannt sich die Lage, die Festgenommenen werden nach und nach wieder freigelassen.
Die Ausschreitungen zum Vatertag seien nicht absehbar gewesen, lügt sich Polizeipräsident Antonius Stockmann seine mißliche Lage zurecht. Recht blauäugig ist der Mann, denn auch in den Vorjahren kam es in der Magdeburger Innenstadt am Vatertag immer wieder zu ausländerfeindlichen Ausschreitungen. Und auch der Verfassungsschutz (VS) von Sachsen-Anhalt hat die Kollegen von der Polizei vor möglichen Krawallen gewarnt. Eine Warnung, die die Polizeispitze in den Wind schlug. Was genau der VS der Polizei mitteilte, bleibt im dunkeln, Innenminister Walter Remmers (CDU) hat seinen Geheimdienstlern einen Maulkorb verpaßt. Eberhard Löblich, Magdeburg
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