Tanzt ,schön' sogar in Filzstiefeln

■ Ein bißchen Tratsch und Hintergrund zur schweigsamen neuen Choreographin Linke

Alles wird anders, sagte die neue Bremer Choreographin Susanne Linke jüngst bei ihrer ersten Pressekonferenz gemeinsam mit dem jungen Choreographen Urs Dietrich. Mehr war ihr nicht zu entlocken. Die neugierige Journaille schmetterte sie ab mit der Bemerkung, daß Tanz eben ein Beruf sei ohne viel Worte. Kokett, denn in New York ist sie als glänzende Vortragsrednerin bekannt. Ähnlich kokett soll Linke in gutaufgelegten Stunden oft gejammert haben, daß kein deutsches Stadttheater sie haben wolle, daß sie sitzenbleibe. Ziemlicher Tobak, wie die taz in einer Plauderstunde mit Heide-Marie Härtel erfuhr, der Leiterin des Deutschen Tanzfilminstitutes in Bremen: Tatsächlich gilt die 50jährige Linke im Ausland als die Top-Solistin – während Kresnik dort (noch) ein Nowhere-Man ist. Nur in Deutschland ist Linke nie so recht berühmt geworden.

Der Vorgänger und die Nachfolgerin zeigen auf der Bühne grundverschiedene Körper: Kresnik wirft den Körper in den Kampf, benutzt ihn wie auf einer Demonstration als Barriere gegen politische Zumutungen, beschreibt die Tanzfilmerin Härtel. Dieser Körper wird direkt vor dem Publikum gebeutelt, während er zum Beispiel bei der ehemaligen Bremer Choreographin Reinhild Hoffmann bereits als von Konventionen Geprägter auf die Bühne kam. Der Körper in Susanne Linkes Tanzstücken dagegen ist kein gesellschaftlicher Körper. Er wirkt heil, auch wenn er zittert. Das Tanzen wurde der Linke nie so unmöglich wie etwa Pina Bausch.

Vielleicht liegt das auch an Linkes persönlicher Körpergeschichte: Wegen einer übersehenen Meningitis hörte das Kind schlecht, sprach kaum, kam gar für einige Zeit in die Psychiatrie. Das Kind erarbeitete sich die Welt vorwiegend visuell. Die Schritte aus der Isolation hat Linke zum Beispiel in ihrem Stück „Schritte verfolgen“ (1981) bearbeitet: In dicken Filzstiefeln versucht die Tänzerin, ins Laufen und dann auch in einen Rhythmus zu kommen. Nur allmählich runden sich die autistischen Bewegungen zu denen des Modern Dance.

Wenn andere ChoreographInnen sich den Faschismus als Thema schnappen, so arbeitet sich Linke ausdauernd an der tänzerischen Umsetzung von Zuständen ab, wie schon die Titel „Affekte“, „Wandlung“ oder „Flut“ zeigen.

Linke kann aber auch ganz anders: Sechs Männer in schweren Sicherheitsschuhen hauen mit riesigen Vorschlaghämmern auf eine zentnerschwere Stahlplatte ein. In einer anderen Szene schweben tonnenschwere Materialien wie von Geisterhand bewegt durch die Luft. Das Stück heißt „Ruhr-Ort“ (1991) und nimmt die ZuschauerInnen mit in den Stollen eines Bergwerks genauso wie in die menschenleere Kommandozentrale eines computergesteuerten Hüttenwerks. Susanne Linke habe dabei jenseits aller falsch verstandenen Ästhetisierung schwere Arbeit tänzerisch abgebildet, schreibt die Tanzkritik, mit Gegenständen, wie sie zuvor auf einer Tanzbühne noch nicht zu sehen waren.

Damit hat sich Susanne Linke weit vom deutschen Ausdruckstanz entfernt, den sie noch bei Mary Wigman persönlich kennengelernt hat. Die Wigman nämlich hatte sehr selbstbezogen getanzt, weit weg von den realen Bedrohungen ihrer Zeit.

Ein neuer Anfang der Linke? Manche finden Linkes bisheriges Bewegungsrepertoire ein bißchen altbacken. Möglicherweise liegt es an der Oberkörperorientierung – wie Pina Bausch setzt Linke stark auf Armarbeit, vernachlässigt die Beinarbeit. Damit steht sie vollkommen im Gegensatz zur „neuen Sportlichkeit“, verkörpert von Gruppen wie „Coax“ in Hamburg oder Wim Vandekeybus in Belgien. Doch die werden das auch nicht mehr lange machen – sowas hält kein Tänzer und keine Tänzerin lang durch, schätzt Tanzfilmerin Heide-Marie Härtel. Sie vermutet, daß Linke sich eher in Richtung Tanztheater mit richtigen Geschichten weiterentwickeln wird.

Oberflächlich spektakulär werden Tanzabende unter Susanne Linke aber wohl nicht – da ist Bremen verwöhnt von Kresniks Lärm und Reinhild Hoffmanns opulenter Ausstattung. Linke setzt mehr auf brilliantes Licht-Design – ungewöhnlich für Tanzbühnen. Ein bißchen karger also wird das Geschehen, aber auch ein bißchen tänzerischer – das Bremer Publikum wird sich mehr konzentrieren müssen.

Christine Holch