: Bertelsmania
■ Personalwechsel und Umstrukturierungen bei Bertelsmann und Gruner+Jahr
Bei dem Gütersloher Mediengiganten Bertelsmann werden die Stühle gerückt. Manfred Lahnstein, der im Bertelsmann-Vorstand bisher für die Sparte „Elektronische Medien“ zuständig war, verläßt seinen Posten und sitzt ab Juli im Aufsichtrat. Lahnstein war zuletzt für das Desaster des Kölner Senders Vox verantwortlich. Nichtsdestotrotz lobte Bertelsmann-Boß Mark Wössner den 56jährigen mit Worten, die sich wie ein Nachruf lesen aufs Altenteil im Aufsichtsrat. Er dankte ihm „für seine konzeptionellen Beiträge und sein Durchhaltevermögen in einem unternehmerisch und medienpolitisch äußerst schwierigen Gelände“. Kleines Trostpflaster für den begabten Jazz-Posaunisten mit dem Nußknackergesicht: Auch künftig darf Lahnstein dem Konzern als Berater für gesellschafts- und medienpolitische Fragestellungen sowie bei der Entwicklung elektronischer Medien zur Verfügung stehen.
Doch nicht genug, daß Lahnstein versetzt wird, sein ganzes Ressort wird umgestaltet. Der von ihm verwaltete Bereich „elektronische Medien“ wird künftig zusammen mit der Produktsparte „Musik“ zum Großbereich „Entertainment“ fusioniert. Chef der „neuen Produktlinie“ wird der Vorstand der New Yorker Bertelsmann Music Group Michael Dornemann.
Und noch einer ist bei dem Personenkarussell unter den Gewinnern: Stern-Herausgeber und Gruner+Jahr-Vorstandsmitglied Rolf Schmidt-Holtz verläßt die Bertelsmanntochter und geht ins Mutterhaus. Im Großbereich „Entertainment“ soll der Ex-WDR-Chefredakteur künftig für die europäischen Film- und Fernsehaktivitäten des Medienkonzerns zuständig sein. Damit wird er auch Chef des glücklosen Vox-Geschäftsführers Bernd Schiphorst, der weiterhin für das „normale“ Film/Fernsehgeschäft (Ufa und Filmhandel; RTL, RTL 2, Vox) wirkt.
Schmidt-Holtz (im Branchenjargon „Kleiner Bindestrich“ genannt) selbst wird sich künftig speziell auf dem Zukunftsfeld Pay-TV tummeln. Dort geht es längst nicht mehr nur um die Beteiligung am Zahl-Kanal premiere, sondern um bedeutende Joint-ventures, etwa mit Europas größter Pay TV- Firma Canal+ und dem Bertelsmann-Gemeinschaftsprojekt mit Leo Kirch und der Telekom (Media Service GmbHZ).
Die personellen Neubesetzungen bei Bertelsmann sind Teil einer großangelegten Umstrukturierung. Mit der Einrichtung des Unternehmensbereichs „Entertainment“ ist die von Bertelsmann- Boß Mark Wössner betriebene Neugliederung zu Ende gegangen. Das bisher aus sieben Bereichen bestehende Medienhaus wird künftig auf vier Produktlinien (Industrie, Entertainment, Buch und Presse) verdichtet, in die etwa 300 Einzelfirmen eingegliedert sind. Wie es in Gütersloh heißt, will sich der größte Medienkonzern Europas durch die Umstrukturierung „strategisch stärken“. Bereits letztes Jahr hatte Bertelsmann durch die Zusammenfassung mehrerer Einzelsparten den Großbereich Buch eingerichtet.
Unterdessen sieht es beim Stern nach dem plötzlichen Abgang des Herausgebers eher traurig aus. Der Redaktionsbeirat hatte die Entscheidung über Schmidt-Holtz' „Berufung“ am Montag abend abnicken dürfen. Die Redaktion erfuhr es Dienstag nachmittag vom G+J-Vorsitzenden Gerd Schulte- Hillen („Großer Bindestrich“). Das Verhältnis der beiden Vorstandsherren galt spätestens seit Anfang Dezember vergangenen Jahres als zerrüttet. Damals hatte der „Große Bindestrich“ gegen den erbitterten Widerstand des „Kleinen“ und der Redaktion angeordnet, einen „Billig-Stern“ in Focus-Machart auf Kiel zu legen. Die Blattmacher schmerzt besonders, daß der Große Vorstands- Bindestrich dadurch offenbar wissentlich ihre Anstrengungen um den sinkenden Stern, der zudem just mit einem neuen Farbanstrich aufpoliert wurde, zunichte macht. In der Stern-Kasse (Brutto-Umsatz: 686 Millionen Mark) fehlten Ende '93 schätzungsweise 50 Millionen Werbemärker. Viel-Inserenten werden, wie der Branchenpresse zu entnehmen ist, neuerdings mit Sonderrabatten von 30 Prozent geködert. Die Auflage ist mit jetzt 1,28 Millionen Heften anhaltend rückläufig. Und nicht nur die eigenen Marktforscher rechnen damit, daß mindestens 200.000 Sterne weniger verkauft werden, wenn die von Schulte-Hillen Freund Hans-Herman Tiedje (früher Bild-Chef) fabrizierte Zweit- Illustrierte im Herbst an die Kioske kommt.
Als Nachfolger des Kleinen Bindestrichs wird jetzt Dr. Werner Funk (56) ans Ruder des schlingernden G+J-Flaggschiffs gestellt. Der frühere Spiegel-Chefredakteur dirigierte bei Gruner+Jahr bisher Geo nebst Ablegern. Außerdem war er Chefredakteur von Sports, das er eben erst auf Fitneß getrimmt, in Sports life umgetauft und um 1,50 Mark billiger gemacht hatte. Ulla Küspert/mum
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