Durchs Dröhnland
: Wenn die Tanzfläche zum Plüschsessel mutiert

■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche

Das Aufregendste an The Big Geraniums sind ohne Zweifel die Geschichten um ihre prominentesten Fans. Da wäre zum einen Major Robert Gibson, seines Zeichens Astronaut, der vor seinem Raumflug im September 1993 der Presse mitteilte, daß ihm die erste Platte der irischen Band die Zeit im unendlichen Weltenraum vertreiben werde. Und Tom Cruise, seines Zeichens Schauspieler, hörte die Band bei der Premierenfeier eines Films und lieh ihnen deshalb gleich sein Filmteam, daß es ihnen einen Videoclip fertige. Musikalisch kann die achtköpfige Kapelle da fast heranreichen. Ihre Wurzeln liegen zwar im Folk ihrer Heimat, aber tatsächlich schrecken sie vor nichts zurück, ob es nun Metalgitarren, Mainstreamrock, Fiddel oder afrikanische Rhythmen sind. Der Mischmasch ist tödlich hitverdächtig.

Heute, 22 Uhr, Tränenpalast, Reichstagsufer, Mitte.

HipHop und Metal als – immer noch – prosperierendste Musikformen verknüpfen – ganz was Neues – H-Blockx, vier junge Herren mit einer Auswahl peinlichster Mützenstücke, die sich in der Szene unschwer finden lassen. Den Punk haben die weißen Jüngelchen ohne Zweifel auch gekostet, zum Stagediving wagt man sich – aus Sicherheitsgründen – trotzdem nur mit Skateboard- Helm. Ansonsten, neben durchaus knalligen Riffs, vor allem Arroganz: sich selbst im Info als „junge Götter“ bezeichnen und Henry Rollins „knirschende Bandscheiben“ bescheinigen. Ts, ts, knapp daneben ist auch vorbei, Jugend schützt vor Torheit nicht.

Heute, 21 Uhr, mit CPS aus Berlin im SO 36, Oranienstraße 190, Kreuzberg.

Nette Idee, eine Vertreterin des die internationalen Hitparaden regierenden Blue-eyed-Souls mit ein paar Rappern zu konfrontieren. Kitsch contra street credibility, Glamour contra Knarren, Soul contra Schwanz? Man wird sehen. Joon auf jeden Fall sollte demnächst Lisa Stansfield abfrühstücken, vor allem wenn ihr weiter so knorke smoothe Beats geliefert werden, bei denen die Tanzfläche zum Plüschsessel mutiert. Wer sich hinter den Berlin Rappers verbirgt, ist bis auf DMD Angry noch nicht klar.

Morgen, 22 Uhr, mit Mendoza Dance Parti im Tränenpalast.

Wo wir gerade bei Hammondorgeln sind. Das Berliner Ereignis für den überzeugten Pilzkopfträger sind natürlich der „Sixties Pfingst Allnighter“ am Sonnabend im Lindenpark und die „Pfingst Mod Ralley II“ des klein-feinen Labels „Twang!“ am Sonntag im Huxley's. Teilweise überschneidet sich das Programm: Die Soc's aus Nürnberg und ihr 60ies Garagenrock, die Münchner Heartbeats samt Mod- Rock und The Insomniacs, ebenfalls Mod, aber aus dem Amiland, schwingen die Rüschenhemden an beiden Abenden. Nur am Samstag gibt es die Vorzeigemädels Lemonbabies zu sehen (ganz allein und höchstpersönlich auch noch mal am Donnerstag im Loft) und die Hawks, 60ies Urgestein aus Berlin. Den Ersatz am Feiertag geben ab: The Cuban Rebel Girls mit Country meets Garage und The Groovy Cellar, die auch noch beweisen, was eh jedem klar sein dürfte: Berlin hat noch einen Koffer in den 60ern stehenlassen.

Morgen, 20 Uhr im Lindenpark, Potsdam, Stahnsdorfer Straße 76–78, am 22.5. um 21 Uhr im Huxley's Junior, Hasenheide 108–114, Neukölln, und die Lemonbabies noch mal am 26.5. im Loft, Nollendorfplatz 5, Schöneberg.

Station 17 ist ein Projekt, bei dem Musiker über Jahre in der „Ev. Stiftung Alsterdorf“ mit den dort lebenden geistig Behinderten arbeiteten. Die daraus entstandene CD bewirkte ein Rauschen im Pressewald, und auch wenn die meisten der bekannten Förderer (wie Holger Czukay, FM Einheit oder Campino) ebenso wie die finanzierende Phonogram sich inzwischen wieder zurückgezogen haben, gibt es nun eine neue, zweite Platte namens „Genau so“. Und das Projekt geht auf Tournee. Da es sich um Work in Progress handelt, jedes der Stücke sowieso von verschiedenen Besetzungen stammt, jetzt genug der Worte. Nur noch'n Zitat: „Wenn unsere Musik jemanden betroffen machen sollte, so tut uns das nicht leid, sondern nervt ganz gewaltig. Ehrlich gesagt: Dies ist Unterhaltung.“

Morgen, 20 Uhr beim Eimer- Open-air, danach Elektroscum und Barbies and Kens, am 22.5. ab 18 Uhr Killed on X-Mas, AO Wollok und Engine 54, Rosenthaler Straße 68, Mitte.

Also, man könnte wahrlich eine Menge erzählen über die Proclaimers. Daß das Brüderpaar Craig und Charlie Reid gerne mit den Everly Brothers verglichen wird, daß sie für die Unabhängigkeit Schottlands eintreten, daß sie in Kevin Rowland (Dexys Midnight Runners) und den Housemartins zu Beginn ihres Aufstiegs überaus prominente Fürsprecher hatten... Und so weiter, aber zuerst einmal sind die Proclaimers schöner, schlichter Pop, der sich aus dem Fundus von Soul bis Country bedient. Und klassisches Songwriting, den Stücken hört man an, daß sie notfalls auch auf einer einzelnen Gitarre funktionieren. Und eines stimmt tatsächlich: Mit den Everly Brothers verbindet sie – neben den brüderlichen Harmoniegesängen – auch die Tatsache, nicht gerade mit massenkompatibler Schönheit geschlagen zu sein.

Am 25.5. um 20.30 Uhr im Loft.

Ah, ja, rolling, rolling, rolling (Zungenschnalz), die süße Schwere der 70er. So wie sich ein ultratrockener Rioja auf dem Gaumen niederläßt, so schmelzen Kyuss in den Ohren. Dabei sind die Sounds des Quartetts aus der kalifornischen Wüste (Nicht-Los- Angeles, darauf legen sie Wert) Metal, ihre Geschwindigkeiten oft auch schnell und der Sänger manchmal eine kreischende Nervensäge. Trotzdem zeichnet sie eine fusselige Zuckrigkeit aus, die die heutigen 70er-Revival-Kapellen (und das hört ja bei Grunge noch lange nicht auf) meist durch exaktes Spiel ersetzt haben. Kyuss klingen wie Kiffer, sind rund und weich und zum Verwechseln nah dran am Schlaghosen-Jahrzehnt. Dabei näher an Deep Purple als an Black Sabbath, eher Free als Mountain.

Am 25.5. um 21 Uhr im Huxley's Junior. Thomas Winkler