■ 776Aus alt mach neu * Gewohnt gestrickt, aber spannend: Der neue Thriller von John Grisham

Als John Grisham noch richtig gut war, wollte ihn niemand lesen. Von seinem ersten Roman „A Time To Kill“ („Die Jury“) wurden anfangs gerade mal 5.000 Exemplare verkauft, 1.000 erwarb der Autor selbst. Das war 1989, inzwischen ist Grisham längst zum Gott der Bestsellerlisten mutiert und damit zum angebeteten Liebling Hollywoods geworden. Seine Bücher „Die Firma“ und „Die Akte“ wurden kommerzielle Welterfolge – auf dem Buchmarkt genauso wie an der Kinokasse. Der neue Roman „Der Klient“, der heute in deutscher Übersetzung erscheint, ist wieder einer dieser vorprogrammierten Volltreffer, unter Joel Schumacher mit Susan Sarandon und Tommy Lee Jones längst abgedreht, aber trotzdem nichts anderes als die gleiche alte Einer-gegen-alle-Story.

Grishams Helden sind alle smart, schlau, gutaussehend und verfügen über ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl. Das macht sie eher langweilig und austauschbar. Doch das ist dem Autor schnurzpiepe. „Für das Tempo einer Geschichte muß man die Charaktere der Figuren opfern“, sagt Grisham, „mit ausführlichen Beschreibungen kann ich mich nicht aufhalten. Es ist die Handlung, die den Thriller vorantreibt.“ In „Die Firma“ war es ein junger Anwalt, in der „Akte“ eine Jurastudentin, und jetzt ist es ein elfjähriger Junge, der von ihm gnadenlos durch seine kriminelle Phantasie gehetzt wird. In der neuen Geschichte beobachtet der kleine Mark Sway zufällig die Vorbereitungen zum Selbstmord eines Mafia-Anwalts. Bevor der Mobster abkratzt, erzählt er dem Jungen noch schnell, wo die Leiche des US-Senators Boyd Boyette, den einer seiner Klienten gemordet hat, verbuddelt ist. Danach läuft die bekannte Grisham-Dramaturgie ab: Alle sind hinter Mark her – die Staatsanwaltschaft braucht dringend die Politikerleiche, um den Killer Barry, genannt „Das Messer“, endlich aburteilen zu können, der karrieregeile Bundesanwalt will den toten Senator, um endlich selbst einer zu werden, die Mafia von New Orleans würde Mark am liebsten den ungewaschenen Hals umdrehen, und das FBI versucht den ausgeschlafenen Bengel zu schützen. Der aber kennt das Organisierte Verbrechen, weil er sämtliche Gangsterfilme gesehen hat, weiß also, daß er eigentlich keine Chance hat. Er hält die Klappe und nimmt sich eine grundgütige Anwältin. Die heißt Reggie Love, ist über 50, aber noch prächtig in Schuß, weil sie alles durchgemacht hat, was eine anständige Frau eben so durchmachen muß. Als Anwältin ist sie megasuperspitzenklasse, sie kennt jeden Trick und noch ein paar mehr. Für Mark arbeitet sie selbstverständlich ohne Honorar. So kämpfen die beiden bis Seite 478 gegen den Rest einer zwielichtigen Welt.

Grishams Schwächen – ein wüst konstruierter Plot, unglaubwürdige Figuren, schwache Dialoge und der permanente Gebrauch des Zufalls, der die Geschichte immer wieder vorantreiben muß – sind auch im neuen Roman unübersehbar, doch auch seine Stärke, nämlich Spannung durch Tempo zu erzeugen. Ständig passiert etwas: Der Staatsanwalt macht einen miesen Schachzug, die Anwältin reagiert noch ausgefuchster, die Mafia wird immer aktiver, das FBI macht Fehler und – ein besonders nervender Grisham-Trick – Mark Sway überlegt sich alle zehn Seiten, ob er jetzt reden soll oder lieber nicht. Das macht auch den „Klienten“ zum pageturner, allemal gut für eine schlaflose, weil zwanghaft durchlesene Nacht.

Der ehemalige Rechtsanwalt John Grisham weiß, daß er sein Debüt bisher nicht übertreffen konnte. „Die Jury“ hält auch er für sein bestes Buch, alle anderen seien ihm „immer schlechter geraten“. In der „Jury“ beschreibt er einen Fall aus seiner eigenen Praxis: Ein Schwarzer knallt zwei Rednecks ab, die im Suff seine kleine Tochter vergewaltigt und gefoltert hatten. Der Roman erzählt die Gerichtsverhandlung und ist eine packende Geschichte über den unauflöslichen Widerspruch zwischen Recht und Gerechtigkeit. Das neueste Werk des Autors, „The Chamber“ (Filmrechte schon verkauft), ist wieder ein Courtroom- Thriller. Es handelt von einem rassistischen weißen Anwalt, dem wegen der Ermordung zweier jüdischer Jugendlicher die Todesstrafe droht. Zum Verteidiger nimmt er sich einen jungen Rechtsanwalt, ohne zu wissen, daß dieser sein Enkel ist. Der Enkel ist ebenfalls ahnungslos. Dieses Szenario hört sich endlich wirklich nach einem „neuen“ Grisham an. Karl Wegmann

John Grisham: „Der Klient“. Hoffmann und Campe, 480 Seiten, 44 DM.