Grenzen der Militanz

■ Heute demonstrieren Antifas gegen Kriminalisierung / Mordfall Kaindl: Selbstkritik an Solidarität mit Inhaftierten

Während die Solidaritätsbekundungen für die Inhaftierten im „Fall Kaindl“ in der Vergangenheit immer mit der Forderung nach Freilassung endeten, ohne daß über eine solche Forderung offensichtlich eine Debatte gewünscht war, werden nun auch kritische Töne aus der Antifa-Szene laut. So soll mit einer Demonstration am heutigen Samstag (15 Uhr ab Breitscheidplatz zum Knast in Moabit) nicht nur gegen die „Kriminalisierung des antifaschistischen Widerstands“ und für das Recht auf „Eingreifen“ demonstriert, sondern auch ein Anlaß geschaffen werden, über eigene Fehler und die Grenzen antifaschistischer Militanz zu reden.

Hintergrund der Diskussion ist die Tötung des Funktionärs der rechtsextremen „Deutschen Liga für Volk und Heimat“ (DL), Gerhard Kaindl, im April 1992. Kaindl war während eines Treffens mehrerer DL-Funktionäre und Sympathisanten in einem Lokal in Neukölln erstochen worden, ein weiterer Funktionär der Partei wurde verletzt. Seit November vergangenen Jahres sitzen fünf türkische und kurdische ImmigrantInnen in Untersuchungshaft. Anlaß für die Verhaftung der fünf war die Aussage zweier türkischer Jugendlicher, von denen sich ein Siebzehnjähriger selbst als Tatbeteiligter belastet hat.

Während die Anwälte der Inhaftierten zur Aktenlage bislang schweigen, zweifelt das „Pressebüro zur Unterstützung der verfolgten AntifaschistInnen“ die Aussagen der angeblichen Tatzeugen an. Bereits vor seiner Vernehmung habe etwa der Siebzehnjährige unter einer psychischen Ausnahmesituation gestanden. Außerdem sei der Vorwurf Mord und sechsfacher Mordversuch absurd, da es sich nach allem, was man wisse, um eine spontane und keineswegs verabredete Aktion gehandelt habe. Aus diesen Gründen, so Raul Zelaya vom Pressebüro, gehe man gegenüber den Inhaftierten nach wie vor von einer Unschuldsvermutung aus.

Daß bei dem Überfall auf die Versammlung der DL-Funktionäre ein Mensch zu Tode kam, kritisieren seit geraumer Zeit auch Berliner Antifa-Gruppen. Zwar wisse man, daß militante Gegenwehr oft die einzige Möglichkeit zum Selbstschutz sei, bei einer Aktion allerdings, die das Ziel habe, ein Neonazi-Treffen aufzulösen, hätten Messer nichts zu suchen.

Im heutigen Demoaufruf wird denn auch gefordert, „der Gewalt kritisch gegenüberzustehen“. Gleichzeitig wird aber betont, daß faschistische Gewalt und antifaschistische Militanz nicht zu vergleichen seien. Die Wahl der Mittel sei längst „von den anderen“ getroffen worden, und nur durch entschlossene Gegenwehr etwa hätten sich jugendliche MigrantInnen nach der Wende das Recht erobert, nach Ostberlin zu fahren.

Die selbstkritischen Töne werden freilich in der autonomen Szene nicht ungeteilt aufgenommen. So heißt es in einem Flugblatt der Szenezeitschrift Interim, daß man sich seine Handlungen auch künftig nicht von einem „Autonomen-TÜV“ genehmigen lassen werde und daß sich das Thema Gewalt als Frage nicht stelle. Und die „Rote Hilfe“ sorgte sich einzig darum, festzustellen, daß nach all den bisherigen Kampagnen zur Aussageverweigerung die Aussagen der beiden Belastungszeugen nichts anderes seien als Verrat.

Daß der Prozeß gegen die Inhaftierten im Fall Kaindl, der nicht, wie ursprünglich vorgesehen, im Juni beginnen wird, für weiteren Zündstoff sorgen wird, ist auch den Unterstützern bekannt. Ein neuer Termin für den Prozeßbeginn steht bislang noch nicht fest. Immerhin hat einer der beiden Zeugen deutlich gemacht, daß er nicht weiter in die Solidaritätsarbeit der Antifa einbezogen sein wolle. Für das Pressebüro freilich kein Grund, die heutige Demo in Zweifel zu ziehen. „Während der rechte Terror für viele zum Normalfall geworden ist“, heißt es im Demoaufruf, gelte andererseits, daß „man dort, wo es antifaschistische Gegenwehr gibt, vor den Nazis sicherer ist als anderswo“. Uwe Rada