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Einfach mehr Kaffeetrinken

■ Hamm: nicht in, aber dennoch voller Charme und Grün Von Kaija Kutter

„Der Herrgott schuf im Zorn Billstedt, Hamm und Horn“. Dieser abgeleierte Taxifahrerwitz wird zumindest Hamm nicht gerecht. Zwar ragen an manchen Ecken häßliche Kirchtürme wie Gottes erhobener zorniger Zeigefinger empor. Aber sonst: Hamm ist grün, ist friedlich, hat Charme. Und Hamm liegt innenstadtnah; für gutverdienende Singles, die in den ausverkauften Stadtteilen westlich der Alster nichts kriegen, eine Alternative.

Aber Hamm hat auch Probleme. Hinter den wohlanständigen Backstein-Fassaden verbergen sich „Tendenzen einer normalen Armut“, wie es der Leiter des Stadtteilarchivs, Michael Braun, formuliert, „in ökonomischer, sozialer und kultureller Hinsicht“.

Der Soziologiestudent Lutz Mättig hat gestern seine Sozialstrukturanalyse für Hamm-Mitte und Hamm-Nord vorgestellt und aus den zusammengetragenen Daten Forderungen für die Stadtpolitik abgeleitet. Allen voran: Die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen müsse durch die Ausweitung der für einige Häuserblöcke erteilten „sozialen Erhaltungssatzung“ gestoppt werden. Und: Der Umstrukturierungsprozeß dieses Stadtteils müsse durch eine Unterstützung der sozial Benachteiligten begleitet werden. Denn von ihnen wohnen hier viele. Fast 40 Prozent der steuerpflichtigen Jahreseinkommen in Hamm-Nord liegen mit unter 25.000 Mark deutlich unter dem Hamburger Durchschnitt (56.000 Mark). Fast ein Drittel der 22.000 Menschen in Hamm-Nord sind über 60 Jahre alt.

Zwar wurde der Trend der Überalterung gestoppt: Ausgelöst durch den Zuzug nicht-deutscher Familien hat eine Verjüngung eingesetzt. Erstmals steigt wieder die Zahl der 25- bis 45jährigen und auch die der schulpflichtigen Kinder. Doch all diese Gruppen trifft der eklatante Mangel an sozialer Infrastruktur. Es fehlt in Hamm nicht nur an Altentagesstätten, Kindertagesheimen und Jugendtreffs. Es gibt keine Bücherei, kein Kinderkino, keinen Abenteuerspielplatz, kein Zentrum zum Treffen. Es fehlt, so Lutz Mättig, an „Foren“, kleine Orte, an denen die Menschen ihre Probleme besprechen können oder „ganz simpel“ zusammen Kaffee trinken.

An einem mangelt es aber gewiß nicht: an Grün. Während Schulleiter sich vergeblich um „Entsiegelung“ der geteerten Schulhöfe bemühen, werden in den großzügig angelegten Innenhöfen riesige Rasenflächen mit Stacheldraht gesichert. Es seien halt noch die alten Leute, die in den Höfen das Sagen hätten, wirbt Mättig um Verständnis. Wie wär's dort mit einem Diskurs beim Kafeetrinken?

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