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Ein arabisches Mädchen

■ Für die Ehre der Familie mußte die minderjährige Hanan fast sterben / Prozeßbeginn

Hanan F. hätte gestern vor Gericht schweigen dürfen: Der Mann, der sie am 22. Januar 1993 in einer Boutique an der Bahnhofstraße Ecke Herdentorsteinweg niederstach, war ihr Onkel. Doch die junge Frau, zum Zeitpunkt der Tat noch keine 18 Jahre alt, und gestern als Zeugin vor Gericht geladen, gab an, ihrem Onkel den Angriff mit dem Messer mittlerweile verziehen zu haben. Um die Schwere seiner Tat weniger gravierend erscheinen zu lassen, sagte die Nichte aus und bezichtigte sich selbst früherer Falschaussagen gegen den Onkel. Der, Ahmed Ali K., mußte sich gestern für „versuchten Totschlag“ vor der 2. Strafkammer des Bremer Landgerichtes verantworten.

„Er hätte so nicht gehandelt, wenn er mich nicht lieben würde“, verteidigte Hanan F. fast den Angriff des 40jährigen Onkels. Sie wolle ihrerseits Onkel nicht länger mit Lügen belasten – als Attentäter, der für die Ehre der libanesischen Familie die Nichte mit dem Messer angreift, sie bis in ein Ladengeschäft verfolgt und auf sie einsticht, als sie schon am Boden liegt – nachdem er sie vorher monatelang verfolgt hatte. Zwar sei die Tat geschehen, aber auch sie habe viele Fehler begangen. Sie sei von zuhause weggeganggen. Das sei nach islamischen Gesetzen nicht richtig. da habe der Onkel in seiner Überzeugung recht. Aber sie sei damals zu jung gewesen, um das zu verstehen.

Die Aussagen Hanan F.'s über den Tathergang glichen der Darstellung des Onkels in erstaunlicher Weise – im Gegensatz zu allen ihren früheren Schilderungen bei der Polizei: Sie habe Ahmed Ali K. an jenem 22. Januar vergangenen Jahres im Beisein anderer libanesischer Männer verhöhnt und seine Ehre verletzt. Ja, sie habe eine Jacke stehlen wollen, wie der Angeklagte behauptet hatte. Da sei es natürlich, daß er sich Sorgen um sie gemacht habe. Dem gläubigen Muslim seien wohl die Nerven durchgegangen. „Das wäre jedem so gegangen“. Genau könne sie sich an die Tat aber nicht erinnern, sie sei erst im Krankenhaus wieder zur Besinnung gekommen. Aus heutiger Sicht habe „der Schlag“ ihres Onkels sein Gutes gehabt: „Er hat mir klargemacht, daß ich ein arabisches Mädchen bin. Unsere Sitten erlauben es uns nicht, aus dem Elternhaus zu gehen.“

Daß sie nach „dem Schlag“ in Lebensgefahr schwebte, einen Monat lang im Krankenhaus verbringen mußte, daran erinnerte die Zeugin Hanan F. sich gestern vor Gericht nur ungern. Die Wunden seien ja gut verheilt und sie habe auch keine Schmerzen mehr. Außerdem lebe sie wieder mit ihrer Familie zusammen. Der müsse sie eigentlich dankbar sein, denn sie alle hätten viel Geduld mit ihr gehabt, als sie, damals 16jährig, nicht länger mit ihnen leben wollte. „Ich wollte frei sein“. Fast entschuldigt sie sich, als wäre sie selbst die Angeklagte.

Welche Konflikte zur Trennung von ihrer Familie geführt hatten, darüber schwieg Hanan F. vor Gericht. „Das ist lange her und heute bin ich ja zufrieden“, sagte sie. Ebenso zurückhaltend begründete sie die Selbstmordversuche, die sie in der Zeit der Trennung unternommen hatte. „Ich war nicht zufrieden“, begründete sie zwei quälende Selbstmordversuche.

Vor 8 Monaten kehrte Hanan F. zu den Eltern zurück, seit drei Monaten ist sie verheiratet – der Onkel Ahmed Ali K. war bei der Hochzeit. „Er hat mir verziehen“, sagte die Zeugin vor Gericht, unwillig ihn zu belasten.

Eva Rhode

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