Stammheim: Lebenslang zum zweiten

■ Der RAF-Gefangenen Adelheid Schulz wird erneut der Prozeß gemacht / Obwohl sie bereits zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, wird von heute an erneut wegen Mord und Mordversuch verhandelt

Berlin (taz) – Stammheim und kein Ende: Der RAF-Gefangenen Adelheid Schulz, die ohnehin schon zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt wurde, wird von heute an vor dem Oberlandesgericht Stuttgart erneut der Prozeß gemacht.

Der 39jährigen wird von der Bundesanwaltschaft in zwei Fällen Mord und sechsfacher versuchter Mord vorgeworfen. Die erneute Anklage stützt sich dabei vor allem auf die Aussagen der RAF-Aussteiger, die Anfang der 80er Jahre von der DDR aufgenommen und die nach dem Fall der Mauer verhaftet wurden. Adelheid Schulz soll der neuen Anklage zufolge am 1. November 1978 im niederländischen Kerkrade zusammen mit dem RAF-Mitglied Rolf Heißler die Grenze illegal passiert und dabei auf vier niederländische Zöllner geschossen haben. Zwei der Beamten kamen bei der Schießerei ums Leben. Bei der anschließenden Flucht soll Schulz dann einen Autofahrer mit einer Maschinenpistole bedroht und zur Herausgabe seines Lieferwagens gezwungen haben. Darüber hinaus werden der RAF-Gefangenen vier versuchte Morde und ein Attentatsversuch zur Last gelegt. Als Mitglied des RAF-Kommandos „Gudrun Ensslin“ soll sie am 15. September 1981 in Heidelberg an einem Anschlag auf den damaligen Oberkommandierenden der US- Streitkräfte in Europa, General Frederik Kroesen, beteiligt gewesen sein. Mit einer Panzerfaust beschoß das Kommando das Fahrzeug des Oberkommandierenden, die Granate traf allerdings nur den Kofferraum. Kroesen und seine Frau wurden leicht verletzt. Wegen dieses Anschlages sind unter anderen die früheren RAF-Mitglieder Christian Klar, Brigitte Mohnhaupt, Ingrid Jakobsmeier und Henning Beer verurteilt worden. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat Adelheid Schulz bereits im März 1985 wegen einer Beteiligung an der Entführung und Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer und seiner vier Begleiter im Herbst 1977 zu lebenslanger Haft verurteilt. Zusammen mit Brigitte Mohnhaupt war sie am 11. November 1982 in einem Wald bei Offenbach vor einem Waffen- und Gelddepot der RAF festgenommen worden.

Der Prozeß wird voraussichtlich mehrere Monate dauern, die Bundesanwaltschaft hat über 50 Zeugen benannt. Der Prozeßbeginn hatte sich verzögert, weil die Verteidiger von Schulz erklärt hatten, ihre Mandantin sei aus gesundheitlichen Gründen nicht verhandlungsfähig. Nach ärztlichen Bescheiden wies der Strafsenat aber einen Antrag auf vorläufige Einstellung des Verfahrens wegen Verhandlungsunfähigkeit zurück. Der Gesundheitszustand der Angeklagten, der nach den Worten ihrer Anwälte wegen der elfeinhalbjährigen Haft mit den unterschiedlichsten Isolations- und Sonderhaftbedingungen „bis auf den Grund zerüttet“ ist, steht nach Ansicht des Gerichtes einer Durchführung des Strafverfahrens aber nicht entgegen. Wolfgang Gast