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Er war sein eigener Tänzer

■ „Gerhard Bohner – Tänzer und Choreograph“, fotografiert von Gert Weigelt – Ausstellung in der AdK

Mehr als ein Jahrzehnt lang hat Gert Weigelt den 1992 an Aids gestorbenen Tänzer und Choreographen Gerhard Bohner mit der Kamera begleitet. Ein Querschnitt dieser Fotografien der Bohnerschen Werke, die von der eigenwilligen Rekonstruktion des Schlemmerschen „Triadischen Balletts“ (1977) bis zu Bohners letzter Arbeit „Im goldenen Schnitt“ reichen, sind zur Zeit in der Akademie der Künste am Hansaplatz ausgestellt.

Wer kennt schon Gerhard Bohner? Er habe „eine steile künstlerische Entwicklung genommen“, schreibt der Guru der Tanzkritik, Jochen Schmidt, „die in der Welt des Tanzes ihresgleichen nicht hat“. Künstlerische Entwicklung und Erfolg sind aber noch lange nicht identisch; und mit Lorbeeren wurde Bohner nicht gerade überschüttet. Beachtung fand er vor allem in der Fachwelt, und seinen Einfluß auf die Tanzästhetik (nicht nur in Deutschland) sollte man nicht unterschätzen. Ohne auf direkte Adepten verweisen zu können, ist seine Ästhetik in die verschiedensten künstlerischen Arbeiten eingedrungen, und so hatte mancher Zuschauer schon das Vergnügen, mit Bohner zu tun zu haben, ohne es zu wissen. Eine gute Gelegenheit, das zu ändern, bietet jetzt die Ausstellung von Weigelts Fotografien. Von den Fotos kann man ablesen: Bohner ist mit jeder Faser seines Körpers präsent – er füllt das Bild aus. Noch in seinem Schattenbild zeigt sich seine Ernsthaftigkeit, seine Sensibilität, seine Geradheit.

Der Künstler, der mit 47 Jahren, nach einer Karriere als Ballettsolist, einem gescheiterten Direktoren-Engagement in Darmstadt und einem in Bremen ganz ohne Tänzer dastand und sich dazu entschloß, sein eigener Tänzer zu werden, steht im Mittelpunkt der Ausstellung. Hier begann Bohners einzigartige Entwicklung: Der Choreograph ohne Tänzer, der früher seinen Tänzern durch Vormachen die Idee dessen vermitteln konnte, was er wollte, versuchte nun etwas ähnliches – ohne Tänzer – direkt mit dem Publikum. Tänzerische Sprünge wurden nur angedeutet, der Bewegungskreis mit der Hand oder einem Finger beschrieben.

Eine Notlösung, die zu neuen Darstellungsweisen führte. Die physische Höchstleistung wurde durch die Reflexion auf eben diese Qualität ersetzt: Bohners Tanz fand zu einer eigenen, völlig neuen Form. Er machte die Bühne zum Laboratorium, in dem sich Theorie und Praxis aneinanderreihen, in dem die Möglichkeiten des Abstrakten an den Möglichkeiten des menschlichen Körpers erprobt werden konnten. Dort, wo die Schwierigkeiten entstanden, wo die Risse und Diskrepanzen zwischen den Idealen von Geometrie, Mechanik und Theorie auf der einen und dem menschlichen Körper auf der anderen Seite sichtbar wurden, setzte Bohners Arbeit an. Grundlage seiner vielfältigen Experimente bildete die intensive Beschäftigung mit Wassily Kandinsky, Oskar Schlemmer und dem Bauhaus.

Und so sieht man auf den Fotos den Solisten Bohner in seiner Auseinandersetzung mit Rauminstallationen, mit waagerechten, senkrechten und diagonalen Geraden, mit Winkeln und Kreisen. Von großer Präsenz und Konzentration, aber auch von großer Einsamkeit sprechen diese Bilder. Von einem schwer faßbaren, sehr abstrakten und doch gleichzeitig sehr menschlichen Schmerz. Gert Weigelt ist es gelungen, Bohners intensive Befragung des eigenen Körpers, des Raums und der Gegenstände in seinen durchgängig schwarzweiß gehaltenen Bildern einzufangen und seine unglaublich ruhende Konzentration durch die Bilder zu transportieren.

Und seine Fotos lügen nicht. So erscheint es zumindest, wenn man im zweiten Raum, der Bohners frühere für Compagnien erarbeitete Werke zeigt, die Fotos zu „Zwei Giraffen tanzen Tango“ (1980) entdeckt. Es sind die uninteressantesten Bilder der Ausstellung und, so vermelden die Chronisten, das „Giraffen“-Stück sei das mißratenste, was Bohner je auf die Bühne gebracht hat: peinlich bis zum Anschlag – die totale Bremen-Krise. Doch kaum wußte der schwierige und sensible Choreograph, daß er dem Stadttheater bald den Rücken kehren würde, bescherte er Bremen zum Abschied eine seiner besten Arbeiten, „Bilder einer Ausstellung“. Für die Gert Weigelt (selbst ein Tänzer), prompt die entsprechende fotografische Umsetzung gefunden hat.

Leider gibt es bis auf eine kleine Zeittafel keine weiteren sprachlichen Äußerungen zu Gerhard Bohner im Katalog. Das ist bedauerlich und vielleicht damit zu erklären, daß das definitive Bohner- Buch schon geschrieben wurde: „Gerhard Bohner – Tänzer und Choreograph“ versammelt so prominente Autoren wie Jochen Schmidt, den Tanz aktuell-Herausgeber Johannes Odenthal, die Tanzhistorikerin Hedwig Müller und andere mehr. Wer sich für Gerhard Bohner interessiert, dem sei dieses Buch empfohlen. Die wunderbaren Fotos von Gert Weigelt sind auch hier in Fülle und in guter Qualität zu finden. Michaela Schlagenwerth

Bis 19.6., Mo. 13–19 Uhr, Di.–So. 10–19 Uhr, Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, Tiergarten. Katalog „Gerhard Bohner – Tänzer und Choreograph“, Edition Hentrich, 39,80 DM.

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