: Clevere Jungs
Solinger Mordprozeß: Wahrheitssuche auf brüchigem Fundament / Ambivalente Verteidigerstrategie ■ Von Walter Jakobs
Bei den Altlinken der Republik weckt sein Name einschlägige Erinnerungen. Er war einer der ersten, dem die westdeutsche Justiz in den siebziger Jahren den Weg zum Richteramt verwehrte – aus politischen Gründen. Volker Goetz durfte kein Richter werden, weil die Mitgliedschaft in der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) in jenen Tagen ausreichte, um einem Bewerber den Weg in den Staatsdienst zu verbauen. So wurde das Berufsverbotsopfer Goetz zum Anwalt. Daß ausgerechnet dieser Anwalt im Düsseldorfer Prozeß um den mörderischen Solinger Brandanschlag jetzt auf der Verteidigerbank sitzt, illustriert die verworrene Gefechtslage in dem bisher wohl spektakulärsten Strafprozeß um den ausländerfeindlichen rechten Terror in Deutschland.
Goetz verteidigt zusammen mit Georg Greeven den inzwischen 17jährigen Angeklagten Felix K., dessen Eltern zur Solinger Ökologie- und Friedensbewegung zählen. Die Bundesanwaltschaft wirft K. vor, gemeinschaftlich mit den drei anderen jugendlichen Angeklagten Christian R. (17), Christian B. (21) und dem Erwachsenen Markus Gartmann (24) den grausamen Mord an fünf Frauen und Mädchen begangen zu haben.
Greeven und Goetz gehen davon aus, einen „Unschuldigen zu verteidigen“. Diese Überzeugung, so erklärten die Anwälte gleich am ersten Prozeßtag, „erleichtert uns die Arbeit und das Engagement, bei einem solchem Vorwurf zu verteidigen“. Und es folgte ein Versprechen: „Wir werden in der Sache engagiert verteidigen, aber dafür Sorge tragen, daß die von der Tat Betroffenen durch die Art und Weise der Verteidigung nicht zusätzlich leiden müssen“. Bei den Angehörigen der Brandopfer, die in Düsseldorf als Nebenkläger auftreten, stieß diese Ankündigung von Anfang an auf große Skepsis. Sie mißtrauen den „hehren Worten“.
Niemand aus der Familie Genc, die den vier Angeklagten und ihren Verteidigern knapp zehn Meter entfernt gegenübersitzen, hat bisher in dem fensterlosen, hochgesicherten Prozeßbunker direkt das Wort ergriffen. Auch nicht Mevlüde und Durmus Genc, die durch den Mordanschlag in den frühen Morgenstunden des 29. Mai vergangenen Jahres ihre beiden Enkeltöchter Hülya (9) und Saime (4), ihre Töchter Hatice (18) und Gürsün (27) sowie ihre 12jährige Nichte Gülüstan auf grausame Weise verloren. Was in den Eltern, Großeltern und Geschwistern der Opfer während der Prozeßtage tatsächlich vorgeht, verraten ihre Gesichter nicht. Konzentriert, nüchtern, ohne jeden Gefühlsausbruch verfolgen sie die Verhandlung – selbst während der schlimmsten Momente.
Davon gibt es einige. Etwa dann, wenn das Tagebuch des jegliche Tatbeteiligung bestreitenden Christian B. zur Sprache kommt. Darin hat der 21jährige Angeklagte, der im Gerichtssaal flüssig vormulierend den Eindruck zu erwecken sucht, mit Rassismus und Ausländerfeindlichkeit nichts am Hut zu haben, Kostproben seiner früheren Geisteshaltung festgehalten. So notierte B. nach einer Schlägerei seines Bruders mit Ausländern am 2. Dezember 1992: „Kanaken, ihr werdet auch noch brennen.“ Am 10. April 1993, also nur wenige Wochen vor dem Tattag, findet sich diese Eintragung über eine Romafrau, die ihn in Düsseldorf zu beklauen versucht habe: „asoziales Kanakenschwein, was vom Cocktail noch nicht verbrannt wurde“. An anderer Stelle ist von dem „schwulen Kanaken Ali“ die Rede, den B. „am liebsten nach Ankara getreten hätte“. Konfrontiert mit solchen Eintragungen, flüchtet sich der Angeklagte im Gerichtssaal zu der Erklärung, daß er mit „Kanaken“ nicht Ausländer, „keine bestimmte Rasse“ meine, „sondern unter den Begriff fallen für mich alle Leute, die gefährlich für mich sind“. Eine Tagebucheintragung zur Solinger Kampfsportschule „Hak-Pao“, einem rechtsextremen Sammelpunkt der Region, steht solchen in ruhiger Tonlage vorgetragenen Bekundungen indes diametral entgegen. Dort beschreibt B. den von ihm bevorzugten Freitagstreff bei „Hak-Pao“ als „kanakenfreies Training“, zu dem nur Deutsche Zutritt hätten.
Die Diktion des Tagebuchs verrät eine aggressive Ausländerfeindlichkeit, ja Vernichtungsmentalität, die sich durch die rechtsradikale Propaganda zieht und die geradezu typisch für die Botschaft der rechtsextremistischen Skinhead-Musik ist. Das sogenannte „Türkenlied“ der von Christian B. und Felix K. gern gehörten „Böhsen Onkelz“ zählt dazu. Felix K. hatte den Text dieses Liedes in seinem Computer gespeichert. Den Text, in dem von „Türkenvotzen abrasiert“ und „Türkenpack raus aus unserem Land“ die Rede ist, konnte K. auswendig. Gesungen hat er den Text zumeist dann, „wenn ich schlecht drauf war“. Ihn habe die „Aggressivität“ des Textes „fasziniert“. Er stehe zu seinen „damaligen rechtsradikalen Sprüchen“, sagt K., aber „heute finde ich so was scheiße, weil es armselig und pervers ist, Menschen anzuzünden“.
K. wirkt manchmal fahrig, hektisch, aber nie überfordert. Die Art, wie er den Kern auch heikler Fragen des Senatsvorsitzenden Wolfgang Steffen sofort erkennt, vermittelt den Eindruck von kontrollierter Cleverness. Wenn es während seiner Vernehmung um scheinbar entlastende Details während der Tatnacht geht, dann erinnert sich K. noch heute an alle nur denkbaren Einzelheiten. Wie oft eine CD in der Nacht abgespielt oder welcher Joghurt gegessen wurde, das weiß K. ganz genau. Nur bei der Schilderung der Zeitabläufe, da versagt sein Erinnerungsvermögen. Seit seiner Verhaftung hat er auch nach dem Eingeständnis seines Verteidigers Greeven auf diesem Feld „abenteuerlich voneinander abweichende“ Aussagen gemacht.
Greeven gibt sich zuversichtlich, beweisen zu können, daß K., B. und der geständige Gartmann zur Tatzeit gar nicht am Tatort gewesen sein können. Nach Auffassung des Nebenklagevertreters Reinhard Schön belegen die unterschiedlichen Zeitpunktangaben von K. und B. dagegen eine „Chronologie des systematischen Abrückens von einmal gemachten Aussagen“ als Folge eines geplatzten Alibis. K. selbst erklärt seine höchst unterschiedlichen Angaben mit dem Vernehmungsdruck der BKA-Beamten, „die immer Uhrzeiten wissen wollten“. Was auch immer die Beweisaufnahme noch erbringt, eins steht heute schon fest: dieser Junge weiß sich zu wehren. Durch seine schnodderige Art fühlen sich die Hinterbliebenen manches Mal ebensosehr verletzt wie durch die kühle Arroganz des 21jährigen B. und sein zur Schau gestelltes gefrorenes Lächeln.
Es gibt Momente, da herrscht auf der Nebenklägerbank indes einige Verwirrung. Da weiß die rechte Anwaltshand offenbar nicht, was die linke tut. Da spricht etwa der Kölner Anwalt Rainer Brüssow mit Blick auf Verteidiger Volker Goetz von „einer menschenverachtenden Einstellung“, nur weil K.s Verteidiger von dem einzig geständigen Angeklagten Markus Gartmann konkrete Angaben zu den Opfern begehrt. Während seiner Vernehmung hatte Gartmann als Grund für sein Geständnis Scham- und Reuegefühle gegenüber den Opfern genannt. Brüssow wirft Goetz nun vor, die Auffassung zu vertreten, daß Reue dann erst glaubhaft empfunden werden könne, „wenn Kenntnisse über die Identität und das Geschlecht der Opfer“ vorlägen. Eine solche Sicht verachte die „seelischen Schmerzen der Hinterbliebenen“ gleichermaßen wie die Reue des Angeklagten Gartmann. In der Sache mag solch harsche Kritik grundsätzlich zulässig sein, doch in bezug auf Goetz geht die Schelte fehl. Der hatte sich nämlich vor der Fragestellung bei dem einzigen türkischen Anwalt in der Nebenklägerriege vergewissert, daß keine Einwände gegen die Frage bestehen.
Inzwischen mehren sich die Zeichen für eine deutliche Verschlechterung des Prozeßklimas. Verantwortlich dafür ist nicht zuletzt die Strategie der Verteidigung des unmittelbar nach der Tat festgenommenen Angeklagten Christian R. Die Art, wie der 17jährige auf Rat seiner Anwälte Paul-Gerd Henke und Götz Reuker im Gerichtssaal agiert, paßt so gar nicht zu den Versprechungen von Greeven am ersten Prozeßtag. Der hatte im Namen aller Verteidiger seinerzeit erklärt, „daß keiner von uns die Tat verteidigt und daß keiner von uns auch nur versuchen wird, unangebrachtes Verständnis für einen Täter aufzubringen oder zu verlangen, einen Täter gerechter und schuldangemessener Strafe zu entziehen“.
Schuldangemessene Strafe fußt auf dem Bemühen um wahrheitsgemäße Aufklärung. Im Falle von R. ist davon indes nicht viel zu spüren. R. hatte zunächst nach seiner Verhaftung gestanden, das Verbrechen zusammen mit unbekannten Skins begangen zu haben. Später zog er diese Aussage zurück, um sich als Alleintäter zu bezichtigen. Schließlich behauptete er während der Haft elfmal – unter anderem bei mehreren psychiatrischen Untersuchungen –, er habe zusammen mit den drei Mitangeklagten den Brand gelegt. Erst bei seinem letzten Gespräch mit dem Psychiater rückte er davon wieder ab.
Auch im Prozeß hält er diese neue Linie durch. Bereitwillig schildert der in miesen Verhältnissen aufgewachsene Junge alle Stationen seines nicht nur durch eigene Schuld verpfuschten jungen Lebens. Nur zur Tat selbst macht er nach Rücksprache mit seinen Verteidigern lediglich taktisch bestimmte Aussagen: „Über mein Wissen von der Tat beziehungsweise über meine eventuelle Beteiligung möchte ich nichts sagen.“ Aber die drei Mitangeklagten, das immerhin teilte R. dem konzentriert agierenden Senatsvorsitzenden Wolfgang Steffen mit, hätten „nichts mit der Tat zu tun“.
Ein solches Aussageverhalten ist gewiß zulässig und möglicherweise für den Angeklagten von Vorteil, aber es stünde einer Verteidigung, die solche prozeßtaktischen Finessen ersinnt, besser an zu schweigen, als von dem unbedingten Willen zur Aufklärung zu schwadronieren.
Licht in das Dunkel der rechtsextremen Solinger Szene und deren einstigen zentralen Treffpunkt „Hak-Pao“ bringt möglicherweise ein Antrag, den der Kölner Anwalt Schön gestern im Namen der Nebenkläger stellte. Schön will, daß die aus der Hak-Pao-Kampfsportschule von der Polizei sichergestellten 55.000 Aktenblätter in den Prozeß eingeführt werden, um den rechtsradikalen Hintergrund der Tat auszuleuchten, der „insbesondere für die Strafzumessung“ bedeutsam sei. Drei der vier Angeklagten machten zeitweise beim „kanakenfreien Freitagstraining“ (Christian B.) der „Deutschen Kampfsportinitiative“ in Hak-Pao mit. Dieser „Zusammenschluß patriotisch denkender Kampfsportler“ diente allen möglichen rechtsextremistischen Organisationen als Saalschutztruppe – unter den Augen des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes. Der hatte „Hak-Pao“ nach Informationen der taz genauestens im Blick. Sollte das Gericht dem Antrag von Schön entsprechen, lichtet sich möglicherweise ein Teil des Nebels, der den klaren Blick auf die rechte Solinger Szene noch immer trübt.
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