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„Aufarbeitung heißt nicht billige IM-Jägerei“

■ Robert-Havemann-Gesellschaft eröffnet Archiv der DDR-Bürgerbewegungen

Auch wenn die Bürgerbewegungen der ehemaligen DDR ihren Platz in der heutigen politischen Landschaft fast verloren haben, bleibt eine ihrer letzten „Trutzburgen“ weiterhin aktiv: die Robert-Havemann-Gesellschaft. „Die Leute kommen zu uns, weil sie versuchen, ihren eigenen Lebenslauf zu rekonstruieren und dafür keine Gesprächspartner finden“, erklärt Klaus Wolfram, Vorstandsmitglied der Gesellschaft. Eine wichtige Anlaufstelle in einer Zeit, in der DDR-Geschichte fast ausschließlich über die Daten der Stasi-Akten abgehandelt wird.

Der Robert-Havemann-Gesellschaft geht es darum, eigene Verantwortlichkeit zu hinterfragen, damals wie heute. „Auf- und vor allem auch Verarbeitung heißt für uns nicht billige IM-Jägerei, sondern eher, mit unseren Erfahrungen Stellung zu beziehen gegenüber den aktuellen Umgruppierungsprozessen in der Gesellschaft“, erläutert Klaus Wolfram das Konzept der Gesellschaft. Nur noch ein kleiner versprengter Haufen ist dieser Idee treu geblieben. Im Beirat der Gesellschaft sitzen nach wie vor prominente Ex-Oppositionelle wie Katja Havemann, Bärbel Bohley und Jens Reich. Etwa 50 eingeschriebene Mitglieder kommen hinzu, Klaus Wolfram rechnet noch etwa 100 Symphatisanten zum härteren Kern.

Dabei sollte die Gesellschaft ursprünglich durchaus im großen Maßstab agieren. 1990 hatte das Neue Forum die Gründung eines politischen Stiftungswerkes beschlossen. Aber schon beim Namen für das Kind entzweiten sich die Geister. „Robert Havemann? Das geht ja wohl nicht, schießlich war der Mann doch Kommunist“, hieß es, und damit hatte sich der Stiftungsgedanke schnell erledigt.

Im November 1990 wurde dann die Robert-Havemann-Gesellschaft gegründet. Obwohl mit weit weniger Geld ausgestattet als die geplante Stiftung, leistet sie einen Großteil dessen, was in diesem Land an Aufarbeitungsarbeit getan wird.

Unter der Trägerschaft der Robert-Havemann-Gesellschaft stehen heute zwei ABM-Projekte, die sich vor allem mit dem Aufbau eines Havemann-Archivs beschäftigen. Dieses Archiv soll die Geschichte der DDR-Opposition dokumentieren und zur Diskussion stellen. Hunderte von Stasi-Akten sind hier ebenso zu finden wie eine ausgedehnte Fotosammlung und das „Matthias-Domaschk-Archiv“, das die Mitglieder der Berliner Umwelt-Bibliothek in Mitte akribisch zusammengetragen haben.

Das Archiv wird am kommenden Dienstag eröffnet. Klaus Wolfram hofft: „Vielleicht ist es ja ein kleiner Beitrag, um endlich über unsere Vergangenheit vorurteilsfrei reden zu können.“ Anja Nitzsche

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