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Schrumpf-Bahn

Bahnchef Heinz Dürr meldet für 1993 Verkaufsrückgang in allen Bereichen außer dem Nahverkehr  ■ Von Annette Jensen

Berlin (taz) – Die spannendsten Zahlen nannte Bahnchef Heinz Dürr erst ganz zum Schluß: sowohl im Güter- als auch im Personenfernverkehr kam in den ersten vier Monaten dieses Jahres weniger Geld in die Kasse als 1993. „Bei den Fernbahnen können wir uns das nicht erklären, wenn man sich die vollen Züge anguckt. Wahrscheinlich steckt ein Abgrenzungsproblem zum Nahverkehr dahinter“, spekulierte Dürr gestern in Berlin bei der Vorstellung der Bilanz.

Tatsächlich ist es nicht unwahrscheinlich, daß die Statistiker hier ein bißchen getrickst haben, um dem bei der Bahnreform heftig umstrittenen Nahbereich einen überraschenden Boom zu verschaffen. Fast 3,5 Milliarden Mark und damit 7,2 Prozent mehr Geld gaben die Leute für Regionaltickets aus, so die offizielle Lesart.

Aber auch bei den Sparten mit Umsatzeinbußen besteht laut Dürr kein Grund zur Beunruhigung: „Die Kosten sinken stärker als die Einnahmen.“ Vor allem der niedriger als erwartet ausgefallene Tarifabschluß schlage positiv zu Buche.

Aber diese Zahlenzählerei ist dem Schwaben eher lästig. Schwelgend, ja gelegentlich euphorisch wird er, wenn er detailreich seine Visionen für die Bahn vorstellt. „In unseren Hotelzügen können Sie morgens Ihre Kleider und Akten liegenlassen und abends ins gleiche Abteil zurückkommen“, erzählt er eifrig. Das proletenhafte Verhalten vieler Zeitgenossen im Bahnhof, die ihre Bierdosen auf den Boden schmeißen, sei wie vieles andere auch veränderungsbedürftig. Unter dem Motto „Freundlicher Bahnhof“ hat Dürr schon Putzkolonnen und Wachtrupps angeheuert, eine Hausordnung ist in Arbeit.

Insgesamt 180 Ideen hat der Bahnboß mit seinen Beratern ersonnen. Eine ganze Reihe neuer Waggons für alle Transportbereiche seien schon bestellt, ein Gepäckservice werde aufgebaut und die Grundsteine für drei Frachtzentren in naher Zukunft gelegt, meldet Dürr. Insgesamt 14 Milliarden Mark Investitionen sind für dieses Jahr geplant, wobei etwa 10 Milliarden über zinslose Darlehen und Baukostenzuschüsse des Bundes finanziert werden können.

Am Ende des Jahres hofft Dürr, eine schwarze Null in die Bilanz schreiben zu können. Im letzten Dezember, unmittelbar vor der Bahnreform, standen noch 15,6 Milliarden Mark Miese unterm Strich. Fast genau diese Geldmenge aber kann die Bahn dieses Jahr einsparen – durch die Entlastung von den Zinsen für zuletzt 66,2 Milliarden Mark Schulden, durch Geld aus der Staatskasse für Gleisreparaturen, durch die Finanzierung des im Vergleich zur früheren Bundesbahn überschüssigen Reichsbahnpersonals durch den Bund sowie eine Veränderung bei den Abschreibungen.

Das letzte Jahr der Bahn als Staatsbetrieb sah wieder einmal sehr düster aus: Der Umsatz sackte im Vergleich zum Vorjahr um 1,2 Prozent auf 24 Milliarden Mark ab, 800 Millionen Mark mehr Minus als im Vorjahr wurden ausgewiesen. Dennoch sei das Ergebnis über den Erwartungen geblieben, sagte der für die Finanzen zuständige Vorstandsmann Diethelm Sack; man habe mit einem noch größeren Defizit gerechnet.

Nicht nur die Kassen, auch die Abteile sind im letzten Jahr erneut leerer geworden: 66 Reisende saßen 1993 noch in einem Durchschnittszug, im Vorjahr waren es immerhin noch 67 gewesen. Fatal aber fiel vor allem die Bilanz im Güterverkehr aus: Trotz insgesamt steigender Nachfrage nach Transportleistung sackte die Menge der von der Bahn beförderten Waren seit 1989 um 18 Prozent ab. Wegen des Preisverfalls erlitt die Bahn sogar Umsatzeinbußen von 22 Prozent. Die Rezession, die Dürr gestern wieder als Erklärungsmuster bemühte, kann das Ergebnis aber nur zum Teil erklären – ab 1989 ging es schließlich zunächst einmal steil bergan in Deutschland.

Aber die naheliegende Forderung, endlich dem Straßenverkehr die von ihm verursachten Kosten anzurechnen, mag der Bahnchef nicht erheben. „Es geht nicht an, daß ein Verkehrsträger den anderen beim Verkehrsminister anschwärzt“, ist sein Standpunkt. Nur die auch von Matthias Wissmann als Preisdrücker identifizierten ausländischen LKW will der Bahnchef mehr belastet wissen: „Ein Spediteur aus Polen zahlt außer der Coca-Cola für den Fahrer nichts für die Fahrt durch Deutschland“, mokiert sich der oberste Mann bei der Bahn. Mit den deutschen Brummi-Betreibern aber will er sich gutstellen.

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