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Geschichten über die etwas andere Liebe

Selbstinszenierungen werden durch den Tod verwischt: Jede Menge schwul-lesbische Filme in Berlin  ■ Von Anke Westphal

Es ist ein bißchen schade, daß sie sich nicht zusammengetan haben. Zeitgleich zu den schwul-lesbischen Filmtagen im Kino „Camera“ des Tacheles bringt die unermüdlich um homosexuelles Avantgarde-Kino bemühte Berliner Edition Manfred Salzgeber „Silverlake Life“ ins „Babylon“ (Mitte). „Silverlake Life: A View From Here“ von Tom Joslin und Peter Friedman war 1993/94 der meistgespielte Festivalfilm. Das New Yorker „Village Voice“ feierte ihn als den besten abendfüllenden Film, den es bisher über Aids gegeben habe. „Silverlake Life“ erhielt den großen Preis beim Sundance-Dokumentarfilmfestival, den Gay Teddy der diesjährigen Berlinale und wurde außerdem in San Francisco, der Welthauptstadt der Schwulen und Lesben, preisgekrönt.

„Silverlake Life“ ist die Dokumentation des Endes einer zweiundzwanzigjährigen Liebesbeziehung „in extremis“ (Newsweek). Als der Regisseur Tom Joslin und sein Lebensgefährte Mark Massi von ihrer HIV-Infektion erfuhren, begannen sie, die Kamera auf sich selbst zu richten und jede Phase der Krankheit auf Video festzuhalten. Nach Tom Joslins Tod im Alter von 43 Jahren sichtete sein Schüler Peter Friedman das vierzigstündige Material und beendete das Portrait des Paares Joslin/ Massi, das mit seinem Sterben auf Raten fertig werden mußte. Szenen eines Abschieds: Der Kranke pflegt den noch Kränkeren. Bestrahlungstherapie, alternative Behandlung, Weihnachten in der Familie, Selbstmitleid, Verzweiflung. Ganz zu Anfang erscheint Tom Joslins Gesicht, in Herzform eingerahmt. Später zeichnet die Kamera auf, wie Joslins Körper in den Leichensack gesteckt wird. Dann die Totenfeier, Trauer, Wut. Harte, schwer erträgliche Bilder. „Silverlake Life“ vorzuwerfen, er sei nicht frei von Voyeurismus, wäre einfach ein Fehlverständnis. Die Selbstinszenierung wird durch den Tod, der ein unkorrigierbarer Fakt ist, verwischt. Nicht ohne Grund schrieb Manfred Salzgeber, das Publikum habe Angst vor solchen Filmen, und „es sollte unser Kunststück sein, ihm diese Angst zu nehmen.“

In einen etwas anderen Rahmen stellen sich die schwul-lesbischen Filmtage, die noch bis zum 5. Juni stattfinden und in Zusammenarbeit von Tacheles und „mutvilla“, der schwul-lesbischen Interessenvertretung der Humboldt-Universität, erarbeitet wurden. Die schwul-lesbischen Filmtage wollten nicht nur diverse „Minderheiten innerhalb der Minderheiten“, also Transvestiten, Transsexuelle, Alte, Behinderte oder spezielle ethnische Gruppen repräsentieren, sondern sind kurioserweise auch als kultureller Kick für die homosexuelle Szene im Ostteil der Stadt gedacht. So schlafmützig ist die jedoch gar nicht. Wie auch immer, den Initiatoren ging es wohl vor allem um die Kooperation von Lesben und Schwulen. Leider mußte, neben strikter Parität, was Männer und Frauen angeht, wieder einmal der enge finanzielle Rahmen die Auswahl der Filme bestimmen.

Bei aller kuriosen Jongliererei mit politischer Korrektheit und Geld ist das Ergebnis durchaus eigen und ansehenswert ausgefallen. Hier gibt es nicht etwa zum hundertsten Mal Monika Treuts „Jungfrauenmaschine“, sondern unter anderem den russischen Film „Außenseiter“ (1991/92 von drei Regisseurinnen gedreht) über das Leben von Lesben und Schwulen in Sankt Petersburg angesichts homosexuellenfeindlicher Gesetzgebung. „Looking für Langston“ aus dem Jahr 1989 erzählt in einer Mischung von Spielszenen und Archivaufnahmen die Geschichte des schwarzen und schwulen Dichters Langston Hughes.

Ebenso wie abendfüllende Spielfilme sind auch Dokumentar- und Kurzfilme vertreten; die Aufarbeitung homosexueller Geschichte („Silent Pioneers“, „Verzaubert“) steht neben satirisch Verspieltem. So verfolgt „Das ganze Leben“ (Schweiz 1982) die tragische Odyssee einer fünfzigjährigen Frau durch Heime, Besserungsanstalten, Gefängnisse und Psychiatrie, während „No skin of Ass“ (BRD/Kanada 1990) einen Skinhead schwule Freuden entdecken läßt.

Der vielleicht bekannteste Film mag „Sex is...“ (USA 1992) sein, eine von Pornosequenzen durchsetzte, sich zwanglos gebende Plauderei über Sex im Zeitalter von Aids. Innerhalb des Kurzfilmprogramms läuft neben Jean Genets „Un chant d'amour“ über Schwule im Gefängnis – ein Film, der fast zwanzig Jahre im Archiv verschlossen war – und der Hommage an Oscar Wilde „Ballad of Reading Goal“ auch „Flames of Passion“: Ein Pendler stiehlt ein Foto und sieht sich plötzlich Auge in Auge mit dem jungen Arzt, der darauf abgebildet ist.

Kurzum: Ob schwule Fotografen, Schwule beim Militär oder Friseur, ob heterosexuelle Rabbiner, lesbische Jüdinnen oder Lesben auf Klitorissuche in Selbsterfahrungsgruppen – an den kommenden Tagen gibt es in Berlin eine umfängliche queer nation zu sehen. Zumindest im Kino.

„Silverlake Life: A View From Here“, USA 1993, R: Joslin/Friedman 110 Min., OmU, am 29., 30. und 31. Mai im „Babylon“ (Mitte) am Rosa-Luxemburg-Platz

Schwul-lesbische Filmtage, mit täglich wechselndem Programm bis zum 5. Juni im „Camera“/Tacheles (Mitte), Oranienburger Straße 54-56

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