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Europäische Gelder für Berlin

■ Rund 1,8 Milliarden Mark sollen aus Kassen der Europäischen Union an die Spree fließen

Zwanzig Jugendliche sanieren seit September ein Wohnhaus in Friedrichshain, ebenso viele arbeitslose Frauen aus Ostberlin werden als Schreibkräfte für Gerichte qualifiziert – zwei von einer ganzen Reihe von Maßnahmen, die beim Walter-Friedländer-Bildungswerk mit rund 100.000 Mark aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) bezuschußt werden. Ohne die Mittel aus Brüssel, die durch Senatsgelder abgestützt werden, „könnten wir vieles gar nicht durchführen“, erklärt Verwaltungsleiter Detlef Pohontsch.

Für Berlin ist die Europäische Union (EU) mittlerweile ein finanzielles Standbein geworden. Allein die Senatsverwaltung für Arbeit und Frauen, so ein Bericht des Senators für Bundes- und Europaangelegenheiten, hat von 1991 bis 1993 rund 1.000 Projekte aus ESF- Mitteln gefördert. Das Programm dient vornehmlich der Qualifizierung und Eingliederung von Arbeitslosen und Jugendlichen ins Erwerbsleben.

Schwerpunkt bleibt nach wie vor jedoch der Europäische Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE), der wirtschaftliche Strukturschwächen in der EU ausgleichen soll. Seit Anfang des Jahres ist Ostberlin neben den neuen Ländern im sogenannten Ziel-1- Gebiet, das „Regionen mit Entwicklungsrückständen“ unterstützt. Hinter dem schwerfälligen Schlagwort verbirgt sich die Hoffnung auf einen kräftigen Geldsegen. Insgesamt sind für das neue „Operationelle Programm“ des Landes von 1994 bis 1999 für EFS und EFRE rund 1,8 Milliarden Mark angefordert, 1,5 Milliarden davon für Ostberlin. Der Westteil der Stadt, weiterhin als Zielgebiet-2 („Region mit rückläufiger industrieller Entwicklung“) zusammengefaßt, muß mit weniger Mitteln aus Brüssel auskommen: 197 Millionen Mark aus dem EFRE-Topf stehen rund einer Milliarde Mark für Ostberlin in den nächsten fünf Jahren gegenüber.

Berlin und Sachsen ist es zu verdanken, daß in das EFRE-Instrumentarium für das Zielgebiet-1 nun auch Maßnahmen zur Verbesserung der Umwelt aufgenommen wurden. Damit kann das Umweltförderprogramm der Senatsverwaltung für Umweltschutz und Stadtentwicklung in diesem Jahr erstmals auf den Ostteil der Stadt ausgeweitet werden. Bis zur Jahrtausendwende will man bis zu 300 Projekte durch EU-Mittel finanzieren. Von den veranschlagten 150 Millionen Mark soll die EU rund 75 Prozent tragen. Die für die Betreuung zuständige Beratungs- und Servicegesellschaft Umwelt (BSU) kann bislang auf mehrere erfolgreiche Projekte in Westberlin verweisen. So werden in einer Spandauer Bauelementefirma 40 schwer vermittelbare Arbeitslose beschäftigt, die verwertbare Teile aus Abrißbauten entfernen.

Die vielgescholtene Brüsseler Bürokratie hinterläßt auch in Berlin ihre Spuren. Bis tief hinein in die Bezirke, ja in einzelne Straßenzüge, gehen etwa die neuesten „Durchführungsanweisungen“ des Senats für die ESF-Zuwendungen in Westberlin. So gilt beispielsweise im Bezirk Tiergarten das Gebiet um den Westhafen und die Turmstraße als förderungswürdig, das nahegelegene Hansaviertel hingegen nicht. Weil nach den ESF-Bestimmungen der Grundsatz des Wohnorts und nicht des Ausbildungsplatzes gilt, herrscht derzeit bei den Projektträgern erhebliche Verwirrung. „Es könnte sein, daß auf der einen Straßenseite jemand lebt, der unterstützt wird, während sein Nachbar auf der anderen Straßenseite leer ausgeht“, beschreibt Pohontsch die absurde Situation. Auch bei der Senatsverwaltung für Arbeit und Frauen sieht man das Problem. „Es könnte tatsächlich der Fall eintreten, daß wir mit dem Blick in den Stadtplan die ESF-Förderung vornehmen müßten“, meint eine Mitarbeiterin. Um dies zu vermeiden, haben die Senatsverwaltung für Arbeit und Frauen und die für Wirtschaft und Technologie bei der EU-Kommission Einspruch erhoben. Die Antwort der Brüsseler Bürokraten steht noch aus. Severin Weiland

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