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„Wie heißt denn der Kindsvater?“

In Heidelberg gibt sich ein „Lebensschützer“-Verein als § 218-Beratungsstelle aus / Frauen, die abtreiben wollen, werden peinlichst befragt und erhalten keinen erforderlichen Beratungsschein  ■ Von Barbara Ritter

Heidelberg (taz) – „Lauter intime Sachen wollten sie von mir wissen: Wie heißt der Kindsvater, ist er verheiratet, mit wem, wie war das im Bett? – also einfach alles“, berichtet Larissa*, eine junge Russin, die sich nur mit Touristenvisum in Deutschland aufhält. Hier war sie unverhofft schwanger geworden und wollte abtreiben. Doch die peinlichen Fragen waren erst der Anfang einer „Schwangerschaftskonfliktberatung“ bei der Beratungsstelle „Birke“ in Heidelberg. Die erste Befragung dauerte insgesamt vier Stunden, dann wurde Larissa zu einem siebenstündigen „Kurs“ über die vorgeburtliche Entwicklung einbestellt. Und danach wurde ihr ein Film über die Grausamkeit von Abtreibungen gezeigt.

Doch Larissa bleibt bei ihrer Entscheidung. Als sie erwähnt, daß sie notfalls nach Holland fahre, werden die Drohungen der „Birke“-Mitarbeiterinnen massiver: Bei einem Abbruch „ohne Erlaubnis der ,Birke‘“ werde sie innerhalb von 24 Stunden ausgewiesen und nach Rußland zurückgeschickt, danach bekäme sie nie wieder ein Visum. Sie sei jetzt als schwanger registriert.

Die Schwangerschaftsbestätigung der Ärztin, die Larissa zu dieser „für die Region zuständigen Beratungsstelle“ geschickt hatte, war tatsächlich gleich zu Beginn durch die Mitarbeiterin einbehalten worden.

Was Larissa nicht wissen konnte: Die „Birke“ ist ein Verein von christlich-fundamentalistischen „Lebensschützerinnen“, die sich in enger Zusammenarbeit mit mehreren ÄrztInnen fälschlicherweise als Beratungsstelle ausgeben. Sie sind weder staatlich anerkannt noch berechtigt – und im übrigen auch gar nicht bereit –, den für einen Abbruch erforderlichen Beratungsschein auszustellen.

Nach eigenen Angaben „betreute“ die „Birke“ bereits über 200 Frauen. Viele von ihnen werden der „Birke“ von Ärzten gezielt zugeleitet. Besonders übel ist dabei das Falschspiel mit der ehemaligen Adresse eines verstorbenen Viernheimer Gynäkologen, der lange Zeit für Frauen aus Baden- Württemberg und Rheinland- Pfalz eine bekannte „Abbruchadresse“ war. Von den NachfolgerInnen werden Frauen an die „Birke“ verwiesen und bewußt in dem Glauben gelassen, daß sie dort einen Abbruch bekommen.

Frauen, die so in die Fänge der „Birke“ geraten sind, berichten von lästigen Telefonanrufen und unaufgeforderten Hausbesuchen. Sogar gegen den ausdrücklichen Willen einer ungewollt schwangeren Schülerin suchten die falschen Beraterinnen deren ahnungslose Eltern auf und setzten sie über alle Details in Kenntnis.

Vor einem Jahr stellte die „Birke“ beim Stuttgarter Frauenministerium einen Antrag auf Anerkennung und Finanzierung als §-218-Beratungsstelle. Die baden-württembergische Landtagsfraktion der „Republikaner“ schlug die „Birke“ gar als „Sachverständige“ für eine öffentliche Anhörung im Landtag zum Thema Beratung vor.

Doch trotz der sofortigen Ablehnung des Antrags durch das Ministerium setzt die „Birke“ ihre Tätigkeit unverdrossen fort. Gegen den Psychoterror der „Lebensschützer“ gibt es staatlicherseits kaum Eingriffsmöglichkeiten, denn die enggefaßten Vorgaben des Urteils des Bundesverfassungsgerichts gelten allein für annerkannte Beratungsstellen, während die selbsternannte „Beratung“ durch „Lebensschützer“- Vereine nicht kontrolliert oder unterbunden werden kann.

So ist der baden-württembergischen Frauenministerin Brigitte Unger-Soyka (SPD) vorläufig nichts anderes möglich, als Öffentlichkeit, Beratungsstellen, Jugend- und Sozialämter und Ärzteschaft darüber zu informieren, daß es sich bei der „Birke“ um keine anerkannte Beratungsstelle handelt.

Trotz massiver Drohungen der „Birke“ hat Larissa inzwischen Strafanzeige gegen die falschen Beraterinnen erstattet. Seit April 1994 ermittelt die Kriminalpolizei in Heidelberg wegen des Verdachts auf Betrug und Körperverletzung gegen die „Birke“.

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