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Auch nach fast drei Jahren Untersuchungsausschuß bleiben West-Politiker bei ihrer Aussage, von den Machenschaften des DDR-Devisenbeschaffers Schalck-Golodkowski erst nach der Wende erfahren zu haben. Doch Akten von BND und Verfas- sungsschutz sprechen eine andere Sprache. Ingrid Köppes „abweichender Bericht“ weist nach, daß die Bundesregie- rungen über Schalcks Beziehungen zu westlichen Firmen und Geheimdiensten Bescheid wußten. Von Wolfgang Gast

Mitwisser im Schatten

Das Urteil ist hart, aber berechtigt. Nach drei Jahren im Untersuchungsausschuß in Bonn steht für Ingrid Köppe, Abgeordnete der Bundestagsgruppe Bündnis 90/ Grüne, fest: „Die jeweiligen Bundesregierungen waren bereits Anfang der siebziger Jahre über die Ziele, die kriminellen Machenschaften und die MfS-Anbindung des Bereiches KoKo umfassend unterrichtet. Während die breite Öffentlichkeit in der DDR und der Bundesrepublik erst nach der Flucht Schalck-Golodkowskis auf KoKo und sein weltweit operierendes Firmennetz mit Milliardenumsätzen aufmerksam wurde, waren die Bundesregierungen zuvor über jeden Entwicklungsschritt des Schalck-Imperiums zeitnah unterrichtet.“

Der Name Alexander Schalck- Golodkowski ist heute noch genauso geheimnisumwittert wie der seines wirtschaftlichen Schattenreiches mit dem Namen „Bereich Kommerzielle Koordinierung“ (KoKo). Schalck, am 3. Juli 1932 als Sohn eines Kraftfahrers in Berlin geboren, leitete als Stasi-„Offizier im besonderen Einsatz“ jahrzehntelang ein weitverzweigtes Netz echter wie fiktiver Firmen. Hunderte von Millionen Mark erwirtschafteten die Unternehmen jedes Jahr im kapitalistischen Westen, die den devisenschwachen Haushalt der DDR stützen halfen. Schalcks Firmenimperium war aber auch für die Versorgung der Prominentensiedlung in Wandlitz mit westlichen „Luxus“-Gütern verantwortlich. Die kommunistischen Parteien in Westeuropa wurden aus den erzielten Gewinnen mit zweistelligen Millionenbeträgen bedacht. Dank KoKo konnte der Chef-Devisenbeschaffer aber auch die gegen den Ostblock verhängten Embargobestimmungen unterlaufen.

Eines der düstersten Kapitel im Geschäftsgebaren des Ost-West- Unterhändlers: Mit dem Segen der ach so friedliebenden SED-Parteiführung betrieb Schalck-Golodkowski über Jahre einen florierenden Waffenhandel. In den achtziger Jahren, im iranisch-irakischen Krieg, belieferten die KoKo-Firmen beispielsweise beide Kriegsparteien massenhaft zur gleichen Zeit mit Kriegsgerät und Munition.

Doch damit nicht genug: Die Geschäftsbeziehungen der KoKo- Unternehmen zu westlichen Firmen wurden systematisch für Spionagezwecke instrumentalisiert. Einer der Höhepunkte im Leben des Tschekisten Schalck war zweifellos, als es ihm 1983 gemeinsam mit dem damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß gelang, einen Milliardenkredit bundesdeutscher Banken für die devisenarme DDR an Land zu ziehen.

Nach fast drei Jahren hat der Untersuchungsausschuß des Bundestages am vergangenen Freitag seine Beweisaufnahme in Sachen Schalck und KoKo abgeschlossen. Beschlossen wurde ein rund 2.000 Seiten starker „Mehrheitsbericht“, der jetzt als zehn Kilogramm schwere Bundestagsdrucksache dem Bundestag zugeleitet und zum Thema einer Plenardebatte am 24. Juni werden soll.

Der „abweichende Bericht“ der Bundestagsgruppe Bündnis 90/ Grüne, für den die Abgeordnete Ingrid Köppe verantwortlich zeichnet, wurde vom Untersuchungsausschuß dagegen kurzerhand zur Geheimsache erklärt. Mit roten Geheimstempeln versehen liegt er nun in der Geheimschutzstelle des Bundestages.

Vordergründig soll das 163 Seite starke Minderheitenvotum der grünen Bundestagsgruppe nebst sieben Anlagen mit Dokumenten des Bundesnachrichtendienstes (BND) im Panzerschrank verschwinden, weil darin umfangreich aus nicht freigegebenen Akten des Verfassungsschutzes und des BND zitiert wird. Tatsächlich, so vermutet Köppe, soll aber „eine kritische Auseinandersetzung mit dem Fehlverhalten der Bundesregierung und der Geheimdienste blockiert“ werden.

Gründe dafür, die Diskussion um die Rolle der verschiedenen Bundesregierungen zu verweigern, gibt es genug. Hartnäckig verteidigen die Politiker aller Alt- Parteien ihre Aussage, von den ominösen Machenschaften des DDR-Außenhändlers Schalck erst nach der Wende etwas erfahren zu haben. Die Akten des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) in Köln und des BND in Pullach sprechen aber eine andere Sprache. Detailliert führt der abweichende Bericht Köppes anhand dieser Unterlagen auf:

– bereits 1973 gewannen die bundesdeutschen Dienste erste Erkenntnisse über Schalcks KoKo- Imperium. Der Direktor der KoKo-Firma „AHB Elektrotechnik- Elektronik Export/Import“, Helmuth Weise, nutzte eine Dienstreise zur Flucht in die Bundesrepublik. Weise, ein inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit, besaß nicht nur genaue Kenntnisse über die Entstehung des KoKo-Bereiches, er kannte auch die Embargopolitik der DDR. Vor Mitarbeitern des Bundesnachrichtendienstes und des Verfassungsschutzes hatte er ausgepackt.

– 1981 lief dann der Gründer und Direktor der Firma Asimex, Günter Asbeck, in den Westen über. Bei der Asimex handelte es sich um eine Firma des Auslandsaufklärungsdienstes HVA, die ökonomisch dem Bereich KoKo unterstand. Die Ausschleusung des Flüchtlings aus der DDR hatte der BND organisiert. Asbeck, der am 14. März 1989 verstarb, berichtete seinen Vernehmern nicht nur, daß Schalck-Golodkowski als hauptamtlicher Mitarbeiter der Stasi tätig war. Er referierte den Geheimdienstlern auch die „typischen Methoden zum Beschaffen von Gütern, die einem Embargo durch westliche Industriestaaten unterliegen“.

– spätestens mit den Aussagen eines weiteren Überläufers kannte der BND 1983 alle wesentlichen Grundzüge des illegalen Embargohandels und die damit befaßten Personen in den jeweiligen DDR- oder bundesdeutschen Firmen. Der Mann hieß Horst Schuster. Vom April 1973 bis zum Oktober 1981 war er Hauptgeschäftsführer, Direktor und schließlich Generaldirektor der KoKo-Firma Kunst und Antiquitäten GmbH (KuA). Später wechselte Schuster zur KoKo-Firma „Berag“. 1983 gelangte er über Ungarn in die Bundesrepublik.

Bereits im September 1974 hatte der BND dem Bundeskanzleramt und mehreren Bundesministerien über regelmäßige Verstöße gegen die Bestimmungen des innerdeutschen Handels berichtet; DDR-Waren würden zu niedrigen Rechnungen in die Bundesrepublik geliefert. Die Differenz zwischen Rechnungsbetrag und Warenwert wurde dann in freier Währung berechnet und auf Konten im westlichen Ausland, etwa der Schweiz, geleitet. Waren aus anderen osteuropäischen Ländern oder aus Hongkong und Thailand würden als angebliche DDR-Erzeugnisse geliefert und eventuelle Herkunftsbezeichnungen im Auftrag des Schalck-Bereiches eliminiert. Dies, meldeten die Geheimdienstler, geschehe häufig in den Strafvollzugsanstalten der DDR.

Spätestens Anfang der achtziger Jahre, resümiert der Bericht der Bündnis-Bundestagsgruppe, kannte die Bundesregierung:

– die wichtigsten Personen aus dem Bereich KoKo und deren Arbeit für die Stasi,

– die Bedeutung der KoKo für die Volkswirtschaft der DDR sowie deren Arbeitsweise,

– die Höhe und Verwendung der erwirtschafteten Devisen,

– die Rolle der KoKo bei der Beschaffung sogenannter Embargowaren,

– deren wichtigste westdeutsche Handelspartner,

– Schalcks Aufgaben bei der Finanzierung von SED und DKP über die illegal arbeitenden Parteifirmen in der Bundesrepublik Deutschland und

– eine Reihe inoffizieller Mitarbeiter des Auslandsaufklärungsdienstes HVA in der Bundesrepublik und deren Führungsoffiziere in der DDR.

Detaillierte Angaben über die Aussagen der Überläufer sind dem Ausschuß vorenthalten worden. Mit der Begründung „Quellenschutz“ weigerten sich BfV und BND mehrfach, vom Ausschuß beantragte Unterlagen freizugeben. Einem Zufall ist dennoch zu verdanken, daß Unterlagen des Bundesnachrichtendienstes über den Doppelagenten Schuster dem Bonner Untersuchungsgremium bekannt wurden.

Der BND hatte sich aus „Quellenschutzgründen“ geweigert, dem Ausschuß entsprechende Akten auszuhändigen. Die Unterlagen trafen am 30. November letzten Jahres dann doch beim Bonner Gremium ein – es handelte sich um ein Versehen der Bundesanwaltschaft. Sie hatte die Akten zusammen mit anderen Unterlagen im Zusammenhang mit einem Ermittlungsverfahren gegen Schalck wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit dem Ausschuß als „VS – vertrauliche Verschlußsache“ übersandt. Erst nach einem breiten Medienecho erklärte sich der BND dann im Dezember bereit, dem Ausschuß die Unterlagen zu überlassen.

Dieser Vorgang ist für Ingrid Köppe symptomatisch. Die „versehentliche Aktenüberlassung“ habe gezeigt, „daß vieles, was sich der Untersuchungsausschuß in seiner dreijährigen Tätigkeit mühsam erarbeitet hat, dem BND bereits vor zehn Jahren bekannt war“. Ohne die Unterstützung westlicher Partner wäre der Bereich KoKo „nicht lebensfähig“ gewesen. Schon allein die Veröffentlichung der Existenz der „Kommerziellen Koordinierung“ hätte Schalcks Imperium empfindlich getroffen. Ernsthafte Schritte hätten die Bundsregierungen in den vergangenen zwei Jahrzehnten dennoch nicht eingeleitet, sie seien vielmehr „heimliche Mitwisser“ gewesen.

Als „reines Schutzargument“ wertet die Bündnis-Politikerin Ingrid Köppe die heute von der Bundesregierung vertretene Argumentation, nur im Interesse der DDR-Bevölkerung die engen Kontakte zu Schalck-Golodkowski unterhalten zu haben und deshalb auch auf etwaige Proteste und Handelsbeschränkungen verzichtet zu haben.

Die „Stützung der DDR-Diktatur mit Milliardenkrediten und das Gewährenlassen des Bereichs KoKo, der Milliardenbeträge in Devisen für besondere Projekte der DDR-Führung und für die Ausrüstung des Ministeriums für Staatssicherheit besorgt hat, hat nicht der Bevölkerung der DDR geholfen, sondern hat das Überleben der Diktatur wahrscheinlich um Jahre verlängert.“

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