: Straßenverkehr: Eine tödliche Falle
■ Tödlicher Verkehrsunfall in Marienfelde / In knapp zwei Wochen der zweite Unfall, bei dem ein Kind starb / Der ADFC fordert flächendeckendes Tempo 30 für den gesamten Innenstadtbereich
Wieder ist ein Kind im Straßenverkehr ums Leben gekommen. Der zweite tödliche Unfall innerhalb von 14 Tagen ereignete sich am Dienstag abend, kurz nach 18 Uhr. Die achtjährige Jennifer B. aus Marienfelde fuhr mit ihrem Fahrrad die Stegerwaldstraße entlang und wollte die Marienfelder Allee überqueren.
Nach Augenzeugenberichten fuhr das Mädchen dabei mit einer derart hohen Geschwindigkeit, daß sie nicht mehr rechtzeitig abbremsen konnte. Sie prallte gegen den Anhänger eines tschechischen Lastzuges, kam zu Fall und wurde vom Hinterrad des Anhängers überrollt. Nach Auskunft der Verkehrsunfallbereitschaft in Lankwitz hat der tschechische Fahrer des Lastzuges nicht zur Verursachung des Unfalls beigetragen.
Die kleine Jennifer ist bereits das fünfte Kind, das seit Beginn dieses Jahres bei einem Verkehrsunfall getötet wurde. Vor knapp zwei Wochen ist der sechsjährige Jan in Kreuzberg vor den Augen seiner Mutter getötet worden. Der Junge hatte darauf vertraut, daß grünes Licht ihm Sicherheit signalisiert: Als die Ampel am Fußgängerübergang an der Kreuzberg-/ Ecke Katzbachstraße grün zeigte, glaubte er, mit seinem Kinderfahrrad sicher die Straße überqueren zu können. Doch ein Lastwagenfahrer hatte den kleinen Verkehrsteilnehmer übersehen und ihn mit seinem 7,5-Tonner überfahren. Auch Jan starb noch am Unfallort.
In Anbetracht der Häufung tödlicher Unfälle, bei denen Kinder betroffen sind, stellt sich die Frage, ob und in wieweit kleine Kinder im Straßenverkehr vollkommen überfordert sind.
Die Vorschrift, daß radfahrende Kinder bis zum vollendeten achten Lebensjahr die Gehwege benutzen sollen – sofern kein Radweg vorhanden ist –, hätte im Falle des kleinen Jan allerdings nichts genutzt.
Nach Auffassung des Leiters der Dezernats Straßenverkehr der Polizei, Hermann Engelhard, sollten Kinder unter zehn Jahren nicht als Radfahrer am Straßenverkehr teilnehmen, zumindest nicht, ohne zuvor eine Radfahrausbildung in einer Jugendverkehrsschule absolviert zu haben. Wie der Dezernatsleiter in einem Interview sagte, sei aber bei Kindern und Erwachsenen Fehlverhalten nicht auszuschließen. Er wies in diesem Zusammenhang darauf hin, daß Radler auch zu sehr im Vertrauen auf Grün weiterfahren.
Mathias Wendt vom ADFC (Allgemeiner Deutscher Fahrrad Club), Landesverband Berlin, macht schwerwiegende Versäumnisse in der Verkehrspolitik für die Häufung von Unfällen, an denen Radfahrer beteiligt sind, verantwortlich.
Nach Auffassung des ADFC, dem mit 6.500 Mitgliedern größten Fahrradfahrerverband Berlins, stehe in der Verkehrspolitik die Verflüssigung des Verkehrs im Vordergrund. Die Frage der Verkehrssicherheit nichtmotorisierter Verkehrsteilnehmer hingegen werde nicht ausreichend berücksichtigt. Das sehe man schon daran, daß die wachsende Zahl von Verkehrsunfällen viel zuwenig thematisiert und die Opfer mit ihren Problemen alleine gelassen werden. Deshalb fordere der Verband grundsätzlich ein flächendeckendes Tempo 30 für die gesamte Innenstadt. Dadurch werde nicht nur die Verkehrssicherheit gefördert, sondern man könne auf diese Weise auch Verkehrsschilder einsparen. „Außerdem“, so Mathias Wendt gegenüber der taz, „sind wir der Meinung, daß der Güterverkehr aus verkehrstechnischer Sicht auf die Schiene verlagert werden muß. Die LKWs haben in der Innenstadt wegen ihrer Größe nichts zu suchen.“ Das Argument, daß es genügend Radwege gebe, will er nicht gelten lassen: Angesichts des viel zu hohen Tempos der Kraftfahrzeuge im Straßenverkehr vermittelten diese ohnehin nur ein Sicherheitsgefühl, das sehr trügerisch sei. Peter Lerch
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