: Entzauberung der Moderne
Vergeßt Bauhaus! Auf einem Kongreß anläßlich des Hamburger „Architektur-Sommers“ versuchten Kunsthistoriker und Politologen, das mythische Verhältnis von moderner Architektur und politischem Fortschritt zu klären ■ Von Dieter Scholz
Architektur ist ein Tourismusfaktor. In Hamburg wird derzeit nach dem „Fotografie-Frühling“ der sogenannte „Architektur- Sommer“ mit 24 Ausstellungen und diversen Symposien abgefeiert. In diesem Rahmen versuchte ein kunsthistorischer Kongreß, dem affirmativen Gebrauch ein Verständnis von „Architektur als politischer Kultur“ entgegenzusetzen. Veranstalter war das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierte Graduiertenkolleg „Politische Ikonographie“, dessen Mitglieder ein immerhin hochkarätig akademisch besetztes Programm aufbieten konnten.
Der Politologe Klaus von Beyme (Heidelberg) provozierte gleich zu Beginn mit der These, politische Symbolarchitektur gebe es nur noch in der Dritten Welt. Durch Diktaturen korrumpiert, durch die Massenmedien trivialisiert, werde der Gebrauch politischer Zeichen in der modernen Architektur bewußt ausgespart. Die einförmig-nüchterne Bauweise, welche die Bonner Ministerien im Stadtteil Bad Godesberg prägt, kritisierte von Beyme als nichtssagende „Rechnungshofarchitektur“.
Eine Gegenposition bezog Ernst Seidl (Hamburg), der am Beispiel des 1989 eingeweihten Pariser Triumphbogens „la Grande Arche“ zeigen konnte, wie sehr eine monumentale Bauform der Gegenwart mit politischer Symbolik aufgeladen sein kann. In der Sockelzone ist die Öffentlichkeit bürgernah und mündig eingeladen, Ausstellungen zu besuchen; in den beiden vertikalen Seitenflügeln ergänzen sich dagegen Privatwirtschaft und staatliche Verwaltung als „Stützen der Gesellschaft“, um die im Dach untergebrachte Internationale Stiftung für Menschenrechte zu tragen. Diesem Bild einer idealen Gesellschaftsordnung wird universale Bedeutung beigemessen, wie die astrologischen Tierkreiszeichen auf der Dachterasse bezeugen.
Die Vielfalt der mit diesem Bau verknüpfbaren Symbolbezüge spaltete die an der Diskussion Beteiligten in zwei Lager. Auf der einen Seite diejenigen, welche in Anlehnung an postmoderne und neostrukturalistische Positionen der Offenheit und Vieldeutigkeit huldigten, die Entsemantisierung begrüßten und eine Welt frei flottierender Zeichen herbeiwünschten. Auf der anderen Seite wurde die Forderung laut, in der Beliebigkeit von Bedeutungszuweisungen eine „politische Ersatzhandlung“ zu erkennen und zur Analyse der Auftraggeber, Kapitalströme und Wirtschaftsinteressen vorzudringen. Denn aus der Form allein, das wußte schon Brecht, werden die politischen Funktionen der Gebäude nicht ersichtlich.
Wer würde etwa in dem eleganten weißen Rasterbau im Herzen der italienischen Stadt Como die ehemalige Schaltzentrale des Faschismus vermuten? Kurt W. Forster (Zürich) wagte sich hinein in diese „Ruine der Moderne“ und hielt mit seinem Fotoapparat fest, was er dort fand. Im Zentrum der Macht, dem früheren „segretariato generale“, fällt eine der Betonstützen aus der sonst so perfekten Ordnung. Sie steht frei im Raum und ist als einzige unverkleidet. Mit ihrer rauhen Oberflächenstruktur soll sie nach Aussage des Architekten Giuseppe Terragni „die Spontaneität der Schlägertrupps der Faschisten“ verkörpern. Neben dem Sichtbetonpfeiler sind zwischen zwei riesigen Glasscheiben Reliquien der rechten Märtyrer zur Schau gestellt: Hautfetzen, die diese im Verlauf der gewalttätigen Auseinandersetzungen einbüßten.
Technische Modernität und ideologische Rückgriffe auf archaische Elemente verbinden sich so zu einem widersprüchlichen Gemisch, und auch andere Referenten entzauberten den Mythos der Moderne, die gemeinhin als politisch fortschrittlich gilt. Martin Warnke (Hamburg), der die Negation zum „latenten Strukturprinzip der Architekturgeschichte“ erklärte und am Phänomen des polemisch gemeinten „Gegenbaus“ zu verdeutlichen suchte, kritisierte die Avantgarden als ahistorische Heilsbringer militanten Charakters. Winfried Nerdinger (München) wies nach, daß in den Architekturdiskussionen der Weimarer Republik mehr stilistisch-formal als politisch argumentiert wurde. Zu Recht mußte er sich allerdings den Einwand gefallen lassen, dies sei, beispielsweise im Falle des Bauhauses, eine notwendige Überlebensstrategie gewesen, die nichts über weltanschauliche Standpunkte und reale Wirkungen aussage.
Auch an der Hochhausdebatte zeigt sich, daß klare Fronten schwer zu ziehen sind. Während im Westen Nachkriegsdeutschlands ehemalige Nazi-Baumeister auf den „international style“ eingeschworen wurden, mußten modernistische Architekten in der DDR sich einem Staatsmonumentalismus unterwerfen. Werner Durth (Stuttgart) förderte in den inzwischen zugänglichen Archiven Gesprächsprotokolle zutage, die belegen, daß Hermann Henselmanns erste Entwürfe für die Ostberliner Stalinallee, welche noch an Bruno Tauts Reformbauten orientiert waren, als zu westlich abgelehnt wurden. Henselmann mußte sich daher 1950 einer „Bildungsreise“ in die Sowjetunion unterziehen.
Während die offenkundigen Ähnlichkeiten zwischen der stalinistischen Monumentalarchitektur und den frühen kapitalistischen Wolkenkratzern in Chicago zu DDR-Zeiten einem Redeverbot unterlagen, trafen sich kommunistische Ideologen wie Walter Ulbricht mit konservativen Westlern vom Schlage eines Hans Sedlmayr in der Verurteilung von Stahlskelettkonstruktionen mit vorgehängter Glasfassade. Die lagerübergreifenden Stereotypen der Fortschrittskritik dokumentierte Peter Krieger (Hamburg) am Fall des 1947 in New York errichteten Verwaltungsgebäudes der Vereinten Nationen. Selbst den Auftraggebern genügte die transparente Glashülle nicht. In ausgewählten Büroräumen schalteten sie das Licht so ein, daß die Form der Buchstaben „UN“ durch die Scheiben in die Nacht hinausgestrahlt wurde. Ein anderes Highlight war die Rehabilitierung von Disneyland als gartenstadtartiger Idealarchitektur durch den Züricher Stanislaus von Moos. Sein Landsmann Ulrich M. Schumann dagegen, der über „Architektur und Liberalismus 1848–1933“ sprach, blieb einsilbig. Auf die Frage, wie er Liberalismus definiere, erwiderte er kurz und trocken: „Komplexe Probleme lassen keine einfachen Definitionen zu.“
Spannender als viele der Referate waren allerdings die Diskussionsbeiträge von Hermann Hipp (Hamburg), der immer wieder Brücken zur aktuellen Situation vor Ort herstellte. In den Deichtorhallen wird gegenwärtig der von 1909 bis 1933 amtierende Hamburger Stadtbaumeister Fritz Schumacher geradezu kultisch inszeniert. Gleichzeitig bekommt die Hamburger Universität zu ihrem 75. Geburtstag von einem privaten Mäzen zwei Erweiterungsflügel für ihr Hauptgebäude geschenkt. Die gestalterischen Entwürfe dafür sind aber so dürftig, daß Roland Günter (Oberhausen) die Kunsthistoriker zur Einmischung aufforderte, zumal ihr bisheriges Domizil kürzlich an eine Hotelkette verkauft wurde.
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