piwik no script img

„Müll vermeiden, das geht oft gar nicht“

■ Gespräche in Wilhelmsburg: Von Müllverbrennung, Pfandflaschen und Ausländern

Das Kuchenstück kommt auf ein Pappbrett, zusätzlich wickelt Marina Hölzel noch ein wenig Papier um das süße Vergnügen. „Wir sind gegen die Verbrennungsanlage. Wilhelmsburg hat doch schon genug Probleme“, meint die Bäckersfrau. Daß immer mehr Junge den Stadtteil verließen, das sei für sie ein Problem. „Wenn so eine Verbrennungsanlage kommt, ziehen noch mehr weg, und keiner will mehr her.“

Etwa 1000 Meter weiter soll sie möglicherweise entstehen, Hamburgs neue MVA, auf dem Grundstück des alten HEW-Kraftwerks Neuhof. Ein Rest des einstmals stolzen Backsteinbaus steht noch. Tauben nisten jetzt in dem Gemäuer. Aus den Mauern hängen dicke Kabel, auf der Wand steht das Wort „Trafo“. Auf der großen freien Fläche daneben wächst das Gras aus der Erde. Zwei HEW-Arbeiter kommen vorbei. „Ja, hier soll sie hin, wenn sie denn kommt“, bestätigt der eine. Noch würden aber Schaltstellen des 20er-Jahre-Kraftwerks gebraucht. Doch auch das freie Grundstück allein dürfte für eine MVA reichen, die dann auch die Abfälle der Wilhelmsburger verheizen wird.

Marina Hölzel sagt, daß sie sich schon Gedanken über den Abfall mache, aber Müll vermeiden, das ginge oft gar nicht. „Was glauben Sie denn, was die Industrie uns schon an Verpackungen liefert“, beschwert sie sich, während sie der Kuchenkundin noch ein Milchbrötchen in eine kleine Papiertüte steckt. „Wir wollten mal die ganze Pappe, die hier so ankommt, dem Hersteller zurückgeben, denken Sie, der hat die genommen? Das müssen Sie selber machen, hat der gesagt.“

Auch ihre Kundin, Karin Kühn, ist gegen die MVA. Draußen vor der Konditorei sagt sie: „Ich halte davon natürlich nichts.“ Die schlanke, etwa 50jährige Frau gibt ihrem einjährigen Enkel die Tüte mit dem Milchbrötchen und legt das Kuchenpaket auf die Decke der Kinderkarre. „Ich versteh' das sowieso nicht, da bauen die hier eine Reha-Klinik und gleich daneben steht dann 'ne Müllverbrennungsanlage. Ich möchte mal wissen, wer sich da erholen soll?“

Während Enkelsohn Jan mit der Brötchentüte kämpft, beschwert sich Karin Kühn weiter: „Hier gibt's doch ganz andere Probleme, wenn sie hier Recht kriegen wollen, müssen sie 'n Kopftuch tragen, Ausländer sein.“ Im Rathaus habe man sie nämlich nicht ernst genommen. „Ich will vor den Wahlen wissen, was Sache ist, und frag': ,Kommt hier nun 'ne Verbrennungsanlage hin oder nicht?'. Da haben die mir 'nen Prospekt in die Hand gedrückt und gesagt, daß das noch nicht entschieden ist.“

Um die Ecke, in der Veringstraße, gehen Maria Eschenbach und Lotte Markow zum Einkaufen. Die beiden alten Damen sind in Wilhelmsburg geboren und leben schon 80 Jahre dort. „Gar nicht sind wir damit einverstanden. Jeder Dreck wird hier gebaut“, empört sich Maria Eschenbach und fügt hinzu, daß sie auch dem Standort Altenwerder nicht zustimmen würde. „Das ist doch nur zwei Kilometer weiter weg.“ Ihrer Meinung nach sei ihr Stadtteil sowieso schon viel zu sehr benachteiligt. Ihre Freundin mit der starken Brille und dem Einkaufsroller ist etwas schüchterner, meint dann aber: „Ja, mit den Geschäften war das früher viel besser.“ Nun gebe es kaum noch gute Einkaufsmöglichkeiten. Trotzdem würden sie beide auf umweltfreundliche Produkte achten, meint Frau Eschenbach: „Wir kaufen immer Pfandflaschen.“ Und „Grüner Punkt“-Müll werde getrennt. “Aber die jungen Leute achten ja heute nicht mehr auf sowas.“

Auch Günter Böttcher, der gerade den Luftfilter an seinem Mercedes wechselt, hält sich für umweltfreundlich. „Ich kauf' nur Pfandflaschen.“ Für ihn sind die Ausländer diejenigen, die den Müll erzeugen. „Die nehmen erst den Einkaufswagen mit und schmeißen dann alles in den Hinterhof.“ Vor Luftverschmutzung durch die Müllverbrennungsanlage hat der ehemalige Fernfahrer keine Angst. „Was sein muß, muß sein“, sagt er und fügt hinzu, daß ja ein Filter eingebaut werde. „Das einzige, was hier 'ne Belästigung ist, sind die Ausländer.“

Währenddessen verpackt Frau Hölzel in ihrer Konditorei wieder liebevoll Schlemmereien, Maria Eschenbach und Lotte Markow tragen in der Mittagshitze ihren Einkauf nach Hause und Karin Kühn genießt bei Eduscho ihren Kuchen zu einer Tasse Kaffee. Und Günter Böttcher wirft den alten Luftfilter sorgsam in den Müllcontainer. Der kleine Jan schaut aus seiner Kinderkarre zu und lacht. Über wen wohl? Andrew Ruch

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen