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Unternehmen "Max" vor dem Start

■ Ab September wird die Stadtbahn zwischen Zoo und Hauptbahnhof bis 1997 stillgelegt / Chaos vorprogrammiert

Ab dem 26. September dieses Jahres verwandelt sich das „Eisenbahndrehkreuz Berlin“ zum Abstellgleis. Bis zum 1. Juni 1997 plant die Deutsche Bahn AG, die Stadtbahnstrecke zwischen den Bahnhöfen Zoologischer Garten und dem östlichen Hauptbahnhof zu sanieren. Die Großbaustelle macht dem durchgehenden Fernverkehr dann ein Ende. Zoo und Hauptbahnhof werden zu Prellböcken. Viele Bahnhöfe der Stadtbahn müssen geschlossen werden. Die S- Bahn rattert, wenn überhaupt, mit Einschränkungen über die Viaduktbögen. Der eingeschränkte Betrieb bedeutet, daß die ostwestlichen die S-Bahn-Fahrer mit dem Schienenersatzverkehr vorliebnehmen müssen. Ob die gekappte Verkehrsschlagader in der Innenstadt den Nahverkehr in die Knie zwingen wird und den Autostau nur mehr verdichtet, will bei der Bahn AG zwar niemand glauben. Auszuschließen ist der mobile Kollaps an Tagen der „Totalsperrung“ jedoch nicht.

Die 1,5 Milliarden Mark teuren Baumaßnahmen, so Bahnvorstandsmitglied Peter Münchschwander gestern bei der Vorstellung des Sanierungskonzepts, bilden den Beginn der gigantischen 20-Milliarden-Investition der Bahn in Berlin. Der Bau des ICE- Zentralbahnhofs und die Realisierung des Pilzkonzepts mit nordsüdlicher „Durchmesserlinie“ sollen den Eisenbahnknoten Berlin in das Hochgeschwindigkeits-Zeitalter katapultieren. „Viele Metropolen haben versucht, ein Eisenbahnkreuz in der City zu errichten“, sagte Münchschwander. „In Berlin wird es entstehen.“ Die Bahn AG modernisiert die 8,8 Kilometer lange viergleisige Fern- und S- Bahn-Strecke vollständig. Dabei ist vorgesehen, auf die 1882 eröffnete Stadtbahntrasse, die seit den 20er Jahren nicht mehr erneuert wurde, eine Betonplatte zur besseren Lastenverteilung zu verlegen. Zugleich werden die Gleis- und Signalanlagen ausgetauscht und die Strecke mit Oberleitungen ausgerüstet. Hinzu kommen die Abdichtungen der 530 Viaduktbögen, die Umbauten und Instandsetzungen von Bahnhöfen und 44 Brücken. In dem Mega-Bauvorhaben werden zehn Brücken neu gebaut. Der Abtransport der Baustoffe soll über den Schienenweg geschehen.

Die Sanierung will die Bahn generalstabsmäßig durchziehen: Zur Erneuerung der S-Bahn-Trasse, erläuterte Projektchef Werner Remmert, soll die S-Bahn für 16 Monate, ab 3. Oktober 1994 bis Januar 1996, auf den Fernbahngleisen laufen. Die Fernbahn werde ab dieser Zeit auf der Stadtbahnstrecke eingestellt. Alle aus dem Westen kommenden Züge sollen bis 1997 am Bahnhof Zoo, der Ostverkehr am Hauptbahnhof enden. „Die IC-Linie 7 Hamburg bis Dresden“, sagte Remmert, „muß deshalb ab Nauen geteilt werden, wo die Bahnen nach Dresden bereitstehen.“ Grundsätzlich, hofft Remmert, werde der S-Bahn-Verkehr für die Linien S 3, S 5, S 7, S 75 und S 9 aufrechterhalten. Lediglich die S 46 (Westend bis Königs Wusterhausen) fährt über den Südring. In der Bauzeit können die S-Bahnhöfe Tiergarten, Bellevue und Jannowitzbrücke nicht angefahren werden, so Remmert. Weil die Bahn keine Ersatzbahnsteige bauen will, sollen deshalb zwischen Lehrter Bahnhof und Zoo sowie zwischen Alexanderplatz und Hauptbahnhof Busse verkehren. Die Verbindung etwa zwischen Zoo und Lehrter Bahnhof soll der Bus, laut Remmert, in sage und schreibe 14 Minuten zurücklegen. Wenn ab Januar 1996 die S-Bahn auf ihren erneuerten Gleisen rollt, kann die Modernisierung der Fernbahnstrecke beginnen. Die Aktion „Max“ soll, nach 31 Monaten, am 1. Juni 1997 mit der Fertigstellung der Rennstrecke aus Hannover beendet sein.

So notwendig die Stadtbahnsanierung ist, die Euphorie über den reibungslosen Verlauf der Aktion und den „kundenfreundlichen“ Ersatzverkehr könnte bald einen Dämpfer erhalten. Für Berliner und Berlin-Touristen könnte der Hürdenlauf von Bus zu S-Bahn zum Ärgernis werden, kritisierte der Sprecher der Moabiter Bürgerinitiative Moabiter Ratschlag, Hidden. Der Rückgang der Fahrgastzahlen sei absehbar. Auch werde der Busverkehr die zusätzlichen 10.000 Arbeitnehmer des „Spree- Centers“ nicht aufnehmen können. „Pannen“ werde es geben, beschwichtigten die Bahnmanager – vielleicht mit Blick auf S-Bahn- Boß Axel Nawrocki. Rolf Lautenschläger

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