: „So viel darfst du nicht verdienen!“
Die Magdeburger Skandalchronik wird länger und länger / Von schläfrigen Staatsanwaltschaften, brutalen Polizisten und unverschämten Beamten im Ordnungsamt ■ Aus Magdeburg Michaela Schießl
Die Fraktion Bündnis 90/ Grüne im Landtag Sachsen-Anhalt erwägt rechtliche Schritte gegen die Verantwortichen des Polizeieinsatzes am Himmelfahrtstag in Magdeburg. „Eine Einsatzleitung, die nicht merkt, daß es anfängt zu stinken, wenn sie nichts unternehmen, ist unhaltbar“, sagt Fraktionssprecher Hans-Jochen Tschiche gestern auf einer Pressekonferenz. Als „reine Heuchelei“ bezeichnete er die zur Schau gestellte Betroffenheit: „Fehlt nur noch, daß sich Innen- und Justizminister Remmers mit einer Kerze auf den Platz stellt und Mahnwachen abhält.“
Schlamperei in der Verfolgung Rechtsradikaler hat in Sachsen- Anhalt Tradition, berichteten die Rechtsanwälte Gregor Kochan und Wolfgang Kaleck. Sie schilderten Fälle, in denen schludrig ermittelt und Anklagen verschleppt wurden. So wurde der Punker Daniel Müller am 4. August 1991 in Kleinammensleben von 30 bis 40 Skinheads angegriffen. Der Trabant, in dem er saß, wurde umgeworfen und samt Insasse in Brand gesteckt. Im September 1991 wurden die Täter – allesamt geständig – ermittelt. Am 22. Oktober 1991 gab die Staatsanwaltschaft Stendal den Fall an die Magdeburger Behörden ab. Dort blieb er liegen, bis am 25. 10. 1993, fast zwei Jahre später, endlich Anklage erhoben wurde. Ein Verhandlungstermin ist noch nicht in Aussicht.
Daniel Müller indes erlitt im Mai 1992 beim Skinheadangriff auf die „Elbterassen“, bei denen der Punk Torsten Lamprecht erschlagen wurde, schwere Kopfverletzungen. Die Mühlen der Justiz mahlen nicht immer so langsam. Müller wurde Anfang April 1994 zu einem Jahr Jugendstrafe auf Bewährung verurteilt – wegen Einbruchdiebstahls.
Schwere Vorwürfe gegen die Polizei erhob am Mittwoch der Tunesier Mohamed Beskri, der in Magdeburg mit einer deutschen Frau verheiratet ist. Beskri verteidigte am Himmelfahrtstag seinen von Hooligans angegriffenen afrikanischen Freund mit einer Schreckschußpistole. Daraufhin steckten ihn zwei Polizistinnen in einen Wagen und brachten ihn zur Polizeidirektion. Während der Fahrt soll eine der Beamtinnen mit Blick auf Beskri geäußert haben: „Schlagen ist für die noch zuwenig.“ Danach wurde Beskri gemeinsam mit 13 weiteren Ausländern 16 Stunden lang in einem Raum festgehalten, ohne Essen, ohne Trinken, ohne Decken und ohne Sitzgelegenheit. In einem Schreiben an den Oberstaatsanwalt Rudolf Jaspers fordern die Pfarrer Gabriele und Andreas Herbst von der Hoffnungsgemeinde Nord nun Aufklärung und disziplinarische Schritte. Den ganz alltäglichen, ungeheuerlichen Umgang der Magdeburger Behörden mit Ausländern dokumentiert auch der Fall des chinesischen Wissenschaftlers Dr. Su Zhou. Der Fachmann, der in Bremen promoviert hat, erhielt im März 1994 einen Arbeitsvertrag bei der Otto-von-Guericke-Universität.
Doch das Ordnungsamt-Ausländerstelle wollte ihm keine Aufenthaltsgenehmigung erteilen, obgleich er eine schriftliche Bestätigung des Arbeitsamtes vorlegte, daß Dr. Zhous Tätigkeit arbeitserlaubnisfrei sei. Ein weiteres Schreiben, daß Zhou vorlegte, wurde vor seinen Augen zerissen – und tags darauf schriftlich eingefordert. Zhou fertigte ein Protokoll des Gespräches mit der bearbeitenden Beamtin:
„Beamtin: Wann bist du nach Deutschland gekommen?“
Zhou: „1988.“
Beamtin: „Was hast du hier gemacht?“
Zhou: „Ich habe hier promoviert.“
Beamtin: „Das ist zu lange. Du kannst zwar einen Antrag stellen, aber dieser wird sofort abgelehnt.“
Zhou: „Warum?“
Beamtin: „Dein Aufenthaltszweck ist nicht gerechtfertigt.“
Zhou: „Ich habe doch bereits einen Arbeitsvertrag abgeschlossen, bitte sehen Sie hier!“
Beamtin: „Du hast sogar einen Arbeitsvertrag mit ganz hohem Verdienst abgeschlossen – das darf nicht sein! Du dürftest eigentlich gar nicht hier arbeiten.“
Dr. Zhou ist am 1. Juni nach China zurückgekehrt und nimmt dort eine Professur der Quingdao- Universität wahr. Das Computersystem, das extra für seine Forschungen für 80.000 Mark angeschafft wurde, bleibt unbenutzt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen