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Wüste, wohin man blickt!

Die selbsternannte „Sportstadt Berlin“ torkelt von Krise zu Krise / Nach den Fußballern hat es nun auch andere Disziplinen erwischt  ■ Von Jürgen Schulz

Eigentlich sind Berlins Sportjournalisten umgängliche Leute. Doch wenn sie auf einer Pressekonferenz vom gerade eingeflogenen Veranstalter mit Floskeln wie „Wir freuen uns, in Berlin zu sein“ begrüßt werden, verfinstern sich ihre Mienen. Dann wissen die hiesigen Medienvertreter, daß sie veralbert werden.

Sportlicher Niedergang erfaßt gefeite Trutzburgen

Als Redakteur in der „Sportstadt Berlin“ arbeiten zu müssen ist inzwischen so sinnstiftend, wie zum Präsident des Ruderclubs Sahelzone gewählt zu werden. Wüste, wohin man blickt! Konnte man dem Knockout des Fußballs an der Spree sogar noch spaßige Seiten abgewinnen, so hat der sportliche Niedergang in der letzten Woche selbst scheinbar gefeite Trutzburgen erfaßt. „Eishockey-Schock in Berlin“, stammelte die fassungslose Presse, als vor wenigen Tagen bekannt wurde, daß weder der BSC Preussen noch Ortsrivale EHC Eisbären eine Bundesligalizenz erhalten sollen. Der freiwillige Rückzug des Handball-Elitekläßlers Berliner TSC in die Anonymität der Regionalliga fiel da schon nicht mehr ins Gewicht.

Gerne prahlen die Funktionäre mit dem statistischen Muster ohne Wert, Berlin verfüge über mehr als 100 Clubs in der bundesdeutschen Leistungsspitze. Es mag ja stimmen, daß die braven Judoka, Wasserballer, Turner oder Minigolfer prächtige Ergebnisse erzielen. Nur interessiert das eben kaum jemanden in einer Fünfmillionenstadt. Die attraktivsten Zugnummern in den Metropolen, das wissen die fixen Yuppies der führenden Werbeunternehmen längst, heißen Fußball und Eishockey. Sogar bis ins marktwirtschaftlich rückständige Rußland hat sich dieses eherne Marketing-Gesetz herumgesprochen. In Moskau buhlen gleich mehrere Top-Mannschaften in beiden Branchen um die Gelder potentieller Sponsoren. „Unattraktive“, weil wenig zugkräftige Leibesübungen werden kurzerhand in die Provinz delegiert.

Vereinsmeier und ihre Selbstkasteiung

Doch Provinzialität ist kein geographisches Problem. Ein gerüttelt Maß an Mitschuld an der Berliner Misere trägt sicherlich die Kaste der Vereinsmeier. Arrogant und inkompetent sind zwar nicht alle, aber erstaunlich viele. Die meisten haben von Öffentlichkeitsarbeit und Kooperationsgeschick schlichtweg keine Ahnung – davon allerdings jede Menge. Beispiel 3. Oktober 1993. An diesem Feiertag, wie gemacht, um Tausende in die Stadien zu locken, überbot sich die „Sportstadt Berlin“ an jämmerlicher Selbstkasteiung regelrecht selbst. Fußballderby im Olympiastadion, Eishockey-Lokalkampf in der Jafféstraße und (weil aller guten Dinge drei sind?) Aufeinandertreffen der beiden besten Volleyballteams der Stadt, irgendwo in „jwd“. Und damit ja kein Fan auf die verwegene Idee kam, er könne „sowohl als auch“ planen, begannen alle „metropolitan events“ um Punkt 15 Uhr. Posemuckel läßt grüßen! Die Liste der Peinlichkeiten ließe sich fast endlos fortsetzen.

Den Schwarzen Peter kriegt eine dunkle Macht

Da werden Presseausweise kurzerhand für ungültig erklärt, weil der Vereinskassierer auch von der Journaille ein paar müde Märker abzocken möchte (so geschehen beim Fußballamateurligisten 1. FC Union); oder fünf (!) Volleyball- Spitzenclubs können sich partout nicht auf einen konzertierten Heimspieltag einigen. Wenn in der Deutschlandhalle schon mal (westdeutsche) Spitzenkicker die Ränge füllen, müssen gefälligst auch die Zubringerbusse knackevoll sein. Also wird das Turnier genialerweise zur gleichen Zeit wie die Grüne Woche angepfiffen. Wenn das Kind erst mal in den Brunnen gefallen ist, beginnt das große Heulen. In den meisten Fällen wird dem Bundesverband oder einer anderen dunklen Macht der Schwarze Peter zugeschoben (was im Falle der Eishockey-Preussen seine Richtigkeit haben dürfte). Besonders peinlich wird es, wenn Politiker, die in ihrem Metier ebensowenig auf die Reihe bekommen, sich als „Retter in der Not“ aufspielen wollen und laut demagogisierend auf den Putz hauen. Genutzt hat es freilich noch nie.

Unpäßlichkeit der „Kreismeister des Sports“

Dabei stünden Vermarktungsstrategen und Sponsoren „Gewehr bei Fuß“, um in der neuen deutschen Hauptstadt einzufallen. Aber die Unpäßlichkeit der ortsansässigen „Kreismeister des Sports“ weiß dies rechtzeitig zu verhindern. Wie sagte doch Uli Hoeneß, der Manager des deutschen Fußballmeisters Bayern München, unlängst sinngemäß? Gibt man Hertha BSC 100 Millionen Mark, dann haben die ein Jahr später 150 Millionen Schulden. Wie wahr – und doch so traurig. Solange dies so bleibt, werden die Negativmeldungen aus der „Spottstadt Berlin“ nicht abreißen. Und die Sportjournalisten dürfen weiterhin böse Miene zum albernen Spiel machen.

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