: Wirtschaftsfaktor Umweltschutz
■ Umweltschutz-Argumente auch für Buchhalter
Gemessen am Bruttosozialprodukt betrugen 1991 die Ausgaben für das Gesundheitswesen 8,2 Prozent, Bildung kostete 4,5 Prozent und das deutsche Militärwesen 2,8 Prozent – erst danach folgten mit 1,6 Prozent unter „ferner liefen“ die Ausgaben für den Umweltschutz.
Mit einer Veröffentlichung über den materiellen und immateriellen Gewinn bei Investitionen für den Umweltschutz begegnet das Umweltbundesamt (UBA) den immer wieder repetierten Argumenten, Umweltschutzmaßnahmen in den Betrieben gefährdeten Wirtschaftskraft und Wohlstand. Gemessen am Umsatz machen allerdings die Gesamtaufwendungen des produzierenden Gewerbes für Umweltschutz im Jahresdurchschnitt noch nicht einmal ein Prozent aus.
Nach den zugrunde liegenden Zahlen von 1990 betrugen die Investitionen in diesem Bereich des produzierenden Gewerbes in den alten Bundesländern nur 0,27 Prozent gemessen am Umsatz von insgesamt über 1.825 Milliarden Mark. Demgegenüber betrug der Anteil der Personalkosten 25 Prozent, der Materialverbrauch verschlang 40 Prozent.
Die Versorgungsbetriebe für Strom, Gas, Wärme und Wasser kamen auf einen Anteil von 1,17 Prozent (Umsatz: 160,7 Milliarden Mark), das Baugewerbe auf 0,06 Prozent (142,2 Milliarden Mark). Fazit des Umweltbundesamtes: „Die finanziellen Belastungen durch Umweltschutzkosten werden überschätzt.“ Zudem würden „reine Umweltschutzinvestitionen in den seltensten Fällen getätigt“, sondern erfolgten in der Regel zusammen mit produktionsbezogenen Investitionen.
In einigen Fällen ist eine umweltorientierte Produktion sogar gewinnversprechend. So konnte im Bereich der Galvanikindustrie durch die Einführung geschlossener Wasserkreisläufe der Frischwasserverbrauch um bis zu 95 Prozent gesenkt werden. Die hohen Investitionskosten der Wasserrückführung seien durch „deutlich niedrigere Betriebskosten mehr als ausgeglichen“. Gleichzeitig müsse berücksichtigt werden, daß ein Teil der Subventionen die Steuerzahler tragen. Erhielt die Industrie allein aus den Förderprogrammen des Bundes 1970 noch 133 Millionen Mark, stieg diese Summe bis zum Jahre 1991 kontinuierlich auf 2,5 Milliarden Mark. Die hauptsächlich begünstigten Branchen waren die mit überdurchschnittlichen Umweltschutzausgaben belasteten, wie die Elektrizitätswirtschaft und die chemische Industrie. Der Präsident des Umweltbundesamtes, Heinrich von Lersner, wies in einem Gespräch darauf hin, daß von der deutschen Wirtschaft „kein einziger Fall genannt werden“ könne, in dem ein Unternehmen „allein aufgrund hoher Umweltschutzkosten die Produktion ins Ausland verlagert“ habe. Ganz im Gegenteil: Da sich innerhalb Europas die Umweltstandards „zunehmend angleichen, haben die Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil, die bereits frühzeitig entsprechende Investitionen tätigen“.
Wer rechtzeitig investiert, kann auch am Markt für Umweltschutztechnik teilhaben, der eine überdurchschnittlich hohe Wachstumsrate von sechs bis acht Prozent jährlich aufweist. Der Inland-Umsatz erreichte 1991 rund 26 Milliarden Mark, wirtschaftlich von Interesse vor allem für die Bauwirtschaft, den Maschinenbau sowie für die elektrotechnische und chemische Industrie. 1990 war Deutschland mit einem Anteil am Welthandel von 21 Prozent und einem Ausfuhrvolumen von 35 Milliarden Mark mit Abstand Exportweltmeister für umweltschutzrelevante Güter. Die wachsenden Umweltprobleme im In- und Ausland „garantieren diesen Branchen auch in Zukunft große Absatzmärkte“, prognostizieren Experten. Im Jahr 2000 fänden mehr als 1,1 Millionen Menschen im Umweltschutz einen Arbeitsplatz, wenn die Umweltpolitik weiter entwickelt würde. Bei einem Stillstand der Umweltpolitik auf dem Niveau von 1990 dürfte demgegenüber die Zahl der Arbeitslosen noch um 185.000 steigen. Anfang der 90er Jahre waren rund 680.000 Menschen im Umweltschutz beschäftigt. Damit weist das UBA die Behauptung, Umweltschutz rechne sich nicht und belaste die Volkswirtschaft, ins Land der Legenden. Denn nicht nur die Fischerei, Trinkwasserversorgung und die Fremdenverkehrswirtschaft sind auf eine intakte Umwelt angewiesen. Untersuchungen zufolge ergeben sich in vielen Fällen Nutzen- Kosten-Verhältnisse von weit über „Eins“, in manchen Fällen sogar über „Fünf“. Das bedeutet: Der Einsatz von einer Mark im Umweltschutz kann volkswirtschaftlich zu einem Gewinn in Höhe von mehr als fünf Mark führen.
Während sich materielle Schäden mangels hinreichendem Umweltschutz relativ schnell erfassen lassen, ist der Wert immaterieller Schäden schwer bezifferbar. Kühlen Rechnern, die es nur verstehen, mit Bilanzen umzugehen, gelingt es somit fast immer, vorstellbare Schäden als wenig gravierend zu klassifizieren. Doch diese Argumente ziehen nicht mehr. 1986 hat das Bundesumweltministerium zehn Pilotstudien zur Bewertung des Nutzens umweltverbessernder Maßnahmen in Auftrag gegeben, um den ökonomischen Wert ökologischer Maßnahmen zu ermitteln. Untersucht wurden Schadenskosten (zum Beispiel Ertragseinbußen durch Gewässerverschmutzungen in der Fischereiwirtschaft), Ausweichkosten (lärmbedingte Umzugskosten, Einbau für Lärmschutzfenster), Planungs- und Überwachungskosten (Waldschadenserhebungen, Altlastenermittlungen) sowie Vermeidungs- und Beseitigungskosten (Wiederaufforstung, Materialschäden durch Luftverschmutzung). Die erschlagenden Ergebnisse der Studien wurden hochgerechnet und zusammengefaßt. Demnach ergeben sich im Sektor Gesundheitswesen in den alten Bundesländern zum Beispiel 2,6 Milliarden Mark an zusätzlichen Kosten in Fällen von Atemwegserkrankungen pro Jahr sowie 2,8 Milliarden Mark in Fällen von Herz-Kreislauf-Erkrankungen – allein bedingt durch die Luftverschmutzung. Die immissionsbedingten Schäden an sanierungsbedürftigen Baustoffen werden auf rund 3,6 Milliarden Mark jährlich geschätzt. Im Bereich der Bodenbelastungskosten (Nahrungsmittelkontamination, Beeinträchtigung von Biotopen, Abfallablagerungen und Altlasten, Abbau oberflächennaher Rohstoffe, Grundwasserschäden) errechneten die Gutachter als „monetarisierbare Belastungsfelder“ jährliche Kosten in Höhe von 22 bis 60 Milliarden Mark. Lärmbelastungen schlagen mit 27,9 Milliarden Mark zu Buche. Betrachtet man weltweit die wirtschaftlichen Schäden, so kommen Gutachter zu den Schätzungen, daß sich allein durch den Treibhauseffekt mit in der Folge steigendem Meeresspiegel künftig Horrorszenarien abspielen werden: Von einem Anstieg des Meerespiegels von nur einem Meter, der für die nächsten hundert Jahre prognostiziert wird, wenn es bei dem gegenwärtigen Stand des Kohlendioxidausstoßes bliebe, wäre in Japan eine Fläche von 1.700 Quadratkilometer mit vier Millionen Bewohnern betroffen. In China müßten gar 100 Millionen Menschen umsiedeln. In Bangladesch wären 17 bis 20 Prozent der Landfläche betroffen, und in den USA würde eine Fläche von 20.000 Quadratkilometer mit einem Verkehrswert von 650 Milliarden US- Dollar überschwemmt. Verluste, die auch der dümmste Buchhalter verstehen müßte. alo
„Umweltschutz, ein Wirtschaftsfaktor“, Hrsg.: Umweltbundesamt, Postfach 33 00 22, 14191 Berlin
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen