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Die Großkraftwerke sind am Ende

■ Alternative Sonnenenergie / 500.000 neue Arbeitsplätze / Interview mit dem Präsidenten von Eurosolar

Pro Jahr strahlt die Sonne auf Deutschland viermal soviel Energie, wie die gesamte Menschheit in diesem Zeitraum verbraucht. Demgegenüber zerstört der hemmungslose Einsatz atomarer und fossiler Energiequellen das natürliche Gleichgewicht, verursacht allenorts Gesundheits- und Umweltschäden. Und jeder weiß Bescheid. Trotzdem ist kaum die Rede davon, aus den erkannten Gefahren in einer konzertierten Aktion adäquate Konsequenzen zu ziehen. Die neueste Prognose der Internationalen Energie-Agentur besagt, daß bis zum Jahre 2010 der Energieverbrauch weltweit um 50 Prozent steigen wird – und damit auch die Emissionen. Diese Erkenntnisse sind nicht neu. Warum aber muß man sich immer noch über das Für und Wider von Solartechnik und anderen erneuerbaren Energiequellen unterhalten, mitunter sogar streiten? Wer bremst den Fortschritt? Die taz sprach mit dem Präsidenten von Eurosolar, Hermann Scheer.

taz: Japan investiert eine Milliarde Mark in die Photovoltaik, die USA wollen Solarzellen in großer Serie produzieren. Wenn Sie mal weltweit Schulnoten verteilen – an welcher Stelle bei der Erforschung und Nutzung von Sonnenenergie liegen denn die Kontinente – wo liegt Europa und wo Deutschland?

Hermann Scheer: Gegenwärtig kann man nur Noten verteilen, die zwischen Fünf und Sechs liegen. Europa hat allenfalls eine Fünf-minus verdient, Frankreich eine glatte Sechs, Deutschland vielleicht eine Fünf. Weltweit kann man auch den USA und Japan nur eine Fünf-plus geben. Die japanischen Investitionen beziehen sich auf ein Fünf-Jahres-Programm, sind also kein exorbitanter Betrag. Im Moment kann man in Japan und den USA nur ansatzweise von einer zielorientierten Strategie sprechen.

Und in welchen Bereichen haben sich die Kontinente eine Eins verdient?

Bei der Förderung der Kernenergie verdienen die Franzosen eine glatte Eins, ebenso die Japaner, die Amerikaner vielleicht eine Zwei. Deutschland ist zurückhaltender geworden. Hier ist es vielleicht noch ein Drei. Aber das hängt natürlich mit dem öffentlichen atomkritischen Druck der letzten Jahre zusammen. Bei der Förderung fossiler Energieträger haben sich fast alle eine Eins verdient.

Hat man denn in der Vergangenheit überhaupt nichts für die Solarenergie getan?

Der bisher einzige größere Anlauf auf dem Gebiet der Sonnenergie geschah in der Carter-Ära zwischen 1977 und 1980: Bis zum Jahr 2000 sollten 25 Prozent der amerikanischen Energieversorgung auf erneuerbare Energien umgestellt werden. Das wäre ein Anfang gewesen, der jedoch von Reagan systematisch zerschlagen wurde – dessen Wahlkampf finanzierte die amerikanische Ölindustrie. Es war mehr als eine persönliche Marotte von ihm, daß er zum Beispiel die Solaranlage am Süddach des Weißen Hauses, die Jimmy Carter installieren ließ, sofort wieder abriß. Das war der Auftakt für ein vollständig verlorenes Jahrzehnt für die Sonnenenergie.

Eurosolar will dem „Weltkrieg gegen die Natur“ eine „politische Sonnenstrategie“ entgegenstellen. Das klingt sehr bombastisch. Könnten Sie das etwas niedriger hängen?

Eine politische Sonnenstrategie heißt, die Anstrengungen darauf zu konzentrieren, die konventionellen Energiequellen – atomare wie fossile – komplett durch erneuerbare Energien zu ersetzen. Das ist möglich, zwingend notwendig, und wir haben dafür eigentlich kaum noch genug Zeit.

Weil andere Energiequellen versiegen?

Zum einen versiegen die Quellen, auch Uran. Gravierender ist aber, daß wir uns gar nicht leisten können, alle noch vorhandenen Quellen wirklich zu verbrennen, weil das die Ökosphäre nicht mehr aushält.

Warum muß man eigentlich noch immer über Schaden und Nutzen fossiler und erneuerbarer Energiequellen diskutieren? Ist denn nicht längst alles sonnenklar?

Den Entscheidungs-Eliten ist überhaupt nichts sonnenklar. Falls sie nicht selbst zur Energiewirtschaft gehören, sind sie zumindest geistig abhängig davon und verzichten auf eigene konzeptionelle Überlegungen. Wenn es um Alternativen geht, rufen sie sofort nach der Energiewirtschaft und verkennen, daß dies der einzige Teil von Wirtschaft und Gesellschaft ist, der an einem Wechsel zur Sonnenenergie wirklich kein Interesse haben kann, denn es würde die jetzige Energiewirtschaft in ihren Grundfesten erschüttern.

Mit welchen Defiziten hat man es denn bei denen zu tun, die sich der Sonnenenergie verschließen? Man kann sich ja nicht vorstellen, daß alle Befürworter beschränkt sind oder interessenverhaftet, und das weltweit auch noch so perfekt organisiert.

Die Energiewirtschaft verhält sich so normal wie jeder andere Unternehmenszweig auch: Sie will das eingesetzte Kapital amortisieren und natürlich in ihren eingespielten Strukturen weiterarbeiten. Das führt zu einer so umfassenden Selbstbindung, daß sie daraus mit eigener Kraft nicht mehr herauskommen. Bei einer Ablösung der atomaren und fossilen durch erneuerbare Energien würde das Angebot von Primärenergien wie Öl, Kohle, Gas und Uran abgelöst durch Sonne, Biomasse, Wind oder Wasser. Das wird von der Natur umsonst geliefert, die Primärenergien sind kostenlos und damit kein Wirtschaftsfaktor – mit Ausnahme der Biomasse.

Das heißt, konkret wehren sich die Ölgesellschaften und Betreiber von Gruben.

Natürlich! Denn die würden komplett verschwinden. Die Bindung an die investierten Milliarden ist so enorm, daß es naiv wäre anzunehmen, diese Seite würde die Solarenergie unterstützen und damit gegen ihre eigenen Interessen handeln. Man kann aber die Zukunft der Gesellschaft nicht vom Interesse eines einzigen Wirtschaftszweiges abhängig machen. Ist von erneuerbaren Energien die Rede, spricht diese Seite gern von „additiven Energien“ – als Zusatz werden sie gerade noch akzeptiert, aber nicht als Alternative. Wenn man sie aber nicht als Alternative begreift, brauchen wir mit der erneuerbaren Energie gar nicht erst anzufangen. Denn es ist völlig egal, ob man nun einen fünf- oder einen zehnprozentigen Versorgungsanteil mit erneuerbaren Energien hat. Damit allein schiebt man die ökosphärischen Verwerfungen nur vor sich her, wendet sie aber nicht ab.

Viele würden sofort auf Gas, Kohle und Öl verzichten, wenn sie sich den Sonnenstrom leisten könnten. Wieviel Geld müßte denn investiert werden, um Solarstrom konkurrenzfähig zu machen?

Das läßt sich pauschal nicht beantworten, denn die erneuerbaren Energieträger haben einen sehr unterschiedlichen Entwicklungsstand. Heute schon kann die Windenergie in günstigen Gebieten – zum Beispiel Küstenregionen – selbst im betriebswirtschaftlichen Kostenvergleich mit Atom- oder Kohlestrom mithalten. Trotzdem kann man feststellen, daß dies keinesweg zu großen Steigerungsraten bei der Installation von Windkraftwerken führt.

Aus Niedersachsen hört man sogar, daß dort 900 Anträge auf Genehmigung kleiner Windkraftanlagen unerledigt in den Ämtern schmoren.

Ja, aber diese Zahl stammt aus nur vier Landkreisen. Insgesamt wäre das eine installierte Leistung von 500 Megawatt – ein halbes Kernkraftwerk –, und alles privat finanziert. Bei Windkraftanlagen sind kaum öffentliche Subventionen nötig, sondern nur eine verbesserte Möglichkeit der Einspeisung von Windstrom zu fairen Preisen. Allein die Beseitigung administrativer Hindernisse würde ausreichen, auf diesem Gebiet einen Boom an Privatinvestitonen auszulösen. Bei der Biomasse ist es ähnlich, setzt aber voraus, daß sich die Landwirtschaftspolitik und die kommunale Energiewirtschaft darauf einstellen. Die Landwirte wissen nicht, wo sie die erzeugte Energie absetzen können. In der Europäischen Union werden bis zum Jahr 2000 rund 200.000 Quadratkilometer landwirtschaftlicher Fläche stillgelegt – eine Fläche, die fast so groß ist wie die alte Bundesrepublik. Nur 50 Prozent davon im nachhaltigen Anbau genutzt, könnte mehr als ein Drittel des europäischen Energiebedarfs decken.

Sie haben im Zusammenhang mit der europäischen Solarzellen- Produktion von einem „ökologisch unerträglichen Trott“ gesprochen. Wie macht man denn daraus einen Trab oder sogar Galopp?

Absurd ist, daß wir es bei der Photovoltaik noch immer mit handwerklicher und nicht mit automatisierter Serienproduktion zu tun haben, die ansonsten bei jedem Plastikspielzeug selbstverständlich ist. Doch eine Serienproduktion erfordert zunächst Investitionen in die Fabrikanlage von etwa 300 Millionen Mark. Das kann kein mittelständisches Unternehmen leisten. Die großen Produzenten haben vorerst andere Interessen oder nehmen permanent auf ihre Großkunden im Kraftwerksgeschäft Rücksicht. Die sind der große betriebswirtschaftliche Widerstandsfaktor der Energiewirtschaft. Denn eines ist völlig klar: Wird die Solarenergie eingeführt, ist die Zeit des Großkraftwerkes zu Ende. Photovoltaik ist betriebswirtschaftlich nur dann sinnvoll, wenn man sie dezentral nutzt. Zentralisierung verteuert den Einsatz dieser Technik künstlich, weil man zunächst Landschaft kaufen muß. Die einzig sinnvolle Anwendung der Photovoltaik ist ihre Integration in die vorhandene Gebäudestruktur ohne zusätzlichen Landschaftsverbrauch.

Wieso nutzt man eigentlich in ressourcenarmen, aber sonnenreichen Ländern nicht längst das wirtschaftliche Potential dieser Energiequelle, zum Beispiel für den Strom-Export?

Weil auch die sonnenreichen Länder dieselben herkömmlichen energiewirtschaftlichen Strukturen haben. Wenn zentrale Großkraftwerke abgelöst werden durch zahllose Einzelproduzenten, die natürlich ihren Stromüberschuß ins Versorgungsnetz geben, wird vielleicht der Netzbetreiber über

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leben, nicht aber die Betreiber von Großkraftwerken. Doch in der Stromwirtschaft sind Netzbetreiber überwiegend identisch mit den Kraftwerksbetreibern, so daß die notwendige neutrale Rolle gegenüber jedem Anbieter von Strom nicht gegeben ist.

Nun haben ja auch Sie wirtschaftliche Argumente: 500.000 neue Arbeitsplätze brächte das Solarzeitalter, sagen Sie. Wie viele Arbeitsplätze gingen denn bei einer Forcierung der Solarenergie verloren?

Diese Zahl bezieht sich nur auf die nächsten fünf Jahre in Deutschland, wenn die Vorschläge unserer „Solarenergie-Initiative“ sofort realisiert würden. Es gibt die große Chance einer industriellen Innovation mit ganz neuen Produktionsbereichen, die sich innerhalb und nicht außerhalb der Grenzen des ökologischen Wachstums bewegen. Bei vier neuen Arbeitsplätzen im Bereich erneuerbarer Energien fällt durchschnittlich einer im herkömmlichen Sektor weg. Volkswirtschafltich bedeutet das: Kosten entstehen nicht mehr für die Primärenergie, sondern nur noch für die Bereitstellung von Technik. Alle Kosten für erneuerbare Energien sind Kosten für Arbeit. Allerdings muß auch gesagt werden, daß eine ganze Reihe getätigter Investitionen nicht mehr amortisierbar sind. Der rasche Umstieg ins Solarzeitalter ist nicht ohne eine Kapitalvernichtung auf der Seite der Energiewirtschaft machbar.

Nun macht allein die Sonne noch keinen Strom. Wie umweltschädlich ist denn die Produktion von Solarzellen und Photovoltaik-Anlagen?

Sie ist nicht umweltschädlicher als die Produktion von Glas, Draht und Silizium für die Chip-Produktion. Aber diese Frage wird oft maßlos übertrieben: Man sucht das letzte Haar in der Suppe, bevor man eine Alternative ernst nimmt, während in der Zwischenzeit die 100prozentige Zerstörung weitergeht. Natürlich fallen Umweltgifte an – aber auch bei jeder Fahrradproduktion. Wir müssen in Gefahren-Hierarchien denken. Die auftretenden Probleme sind sekundär gegenüber den irreversiblen Folgeschäden bei der Nutzung atomarer und fossiler Energien.

Sie selbst sind Abgeordneter der SPD im Bundestag. Wagen Sie sich dort zum Beispiel an die Bauordnung und sagen, auf das Dach eines jeden öffentlichen Gebäudes gehören Solarzellen, oder jeder private Häuslebauer muß 50 Prozent seines Stroms selber erzeugen?

Das sind Vorschläge, die zu dem politischen Forderungskatalog von Eurosolar zählen und die zum Teil schon zu politischen Beschlüssen geführt haben – zum Beispiel zu dem des letzten SPD-Bundesparteitags, daß bei allen Neubauten eine Mindestzahl von Solarzellen oder Solarkollektoren gesetzlich verpflichtend sein soll. Auch brauchen wir ein 100.000-Dächer-Programm für Solarzellen, um den Schritt in die Massenproduktion sofort vollziehen zu können. Unser Problem bei Eurosolar ist allerdings nicht der Mangel an Ideen, sondern daß unsere Kapazitäten nicht ausreichen, alle Ideen umzusetzen. Doch es ist schon ein positives Zeichen, daß derzeit in Deutschland, Österreich und der Schweiz lokale Solar-Initiativen wie die Pilze aus dem Boden schießen. Nehmen Sie Aachen: Dort wird eine Garantie auf kostendeckende Vergütung für die Einspeisung von Strom aus kleineren Kraftwerken in das öffentliche Netz gefordert. Wenn das Aachener Modell die Aufsichtsbehörde passiert, gibt es bundesweit kein Halten mehr. Zahllose Städte werden dem folgen.

Wenn Sie mal prognostizieren: Wann wird denn der Schritt vom atomaren zum solaren Zeitalter vollzogen sein?

Der Schritt ist dann definitiv eingeleitet, wenn wir es in den nächsten zehn Jahren schaffen, die Serienproduktion in Gang zu setzen und die Markthemmnisse für neue Träger zu beseitigen aufgrund einer politischen Privilegierung der sauberen gegenüber der schmutzigen Energie. Wenn diese Anfänge realisiert sind, wird sich eine strukturelle Revolution vollziehen. Und genau das fürchtet die Energiewirtschaft, weshalb sie – mit der Tarnung durch Alibi-Projekte – diese Anfänge zu blockieren versucht. Interview: Andreas Lohse

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