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Nichts als Wahl-Blabla

Vor Politikern ist derzeit in Irland niemand sicher  ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck

Sie lauern direkt vor dem Eingang zum Supermarkt. Diesmal sind sie zu viert. Meinem Kollegen Cathal und mir ist klar, daß es unmöglich ist, an ihnen vorbeizukommen. „Orla Guerin ist auch wieder dabei“, stöhnt Cathal. Er hatte früher mit ihr beim irischen Fernsehen RTE zusammengearbeitet. „Jedesmal, wenn ich ihr begegne, erzählt sie mir völlig unmotiviert, daß sie meinen Vater getroffen habe. Als ob ich ihr deshalb meine Stimme geben würde.“

Orla Guerin ist Kandidatin der irischen Labour Party bei den Europawahlen am 9. Juni. Ebenso wie ihre 14 KonkurrentInnen – von denen drei vor dem Supermarkt auf Stimmenfang sind – hofft sie auf einen der vier Sitze, die im Wahlkreis Dublin vergeben werden. Alle KandidatInnen müssen im Wahlkampf Klinken putzen, weil sie nur über ein direktes Mandat ins Parlament kommen. Das Hintertürchen der Parteiliste gibt es weder bei Parlamentswahlen noch bei Europawahlen. Irische Politik ist deshalb vor allem Lokalpolitik. KandidatInnen werden nicht wegen ihrer politischen Konzepte gewählt, sondern weil sie sich um die lokalen Angelegenheiten ihres Wahlkreises kümmern. So kann es durchaus passieren, daß ein unabhängiger Kandidat aus dem einzigen Grund ins Parlament gewählt wird, weil er sich vor Ort gegen die Schließung des lokalen Krankenhauses ausgesprochen hat.

Bei den Europawahlen funktioniert das allerdings nicht so recht, da die Wahlkreise viel zu groß sind. „Bei Parlamentswahlen kann der Kandidat aus Nordwestdublin behaupten, man müsse ihn wählen, weil sonst die Schurken aus Süddublin die ganzen öffentlichen Gelder abkassieren“, sagt Cathal. „Bei den Europawahlen ist er auf die Stimmen dieser Schurken plötzlich angewiesen, weil sie zu seinem Wahlkreis gehören.“ Um sicherzugehen, haben die meisten Parteien diesmal mehr oder weniger prominente Leute als Kandidaten aufgestellt. Das ging freilich nicht immer gut: Die Basis fühlte sich überrumpelt und rebellierte.

Orla Guerin zum Beispiel, eine 27jährige Journalistin, die sich durch ihre Osteuropa-Berichterstattung einen Namen gemacht hatte, wurde von der Dubliner Labour Party als Kandidatin abgeschmettert, zumal sie nicht mal Parteimitglied war. Statt dessen erkor man die blasse Bernie Malone, die sich wenigstens durch jahrelangen Parteieinsatz nach oben gearbeitet hatte, mit einer Stimme Vorsprung zur Kandidatin. Die Labour-Führung erklärte Guerin daraufhin kurzerhand zur zweiten Labour-Kandidatin und riskiert, daß nun keine von beiden die notwendige Stimmenzahl erhält. Zwischen den beiden Lagern herrscht völlige Funkstille.

Auch der Seniorpartner in der Koalitionsregierung, Fianna Fail (Soldaten des Schicksals), hat seine Probleme mit der Basis, der man die Gründerin der Beratungsstelle für vergewaltigte Frauen, Olive Braiden, vor die Nase gesetzt hat. Braiden, ebenfalls kein Parteimitglied, wirbt zwar als einzige Kandidatin im Kinovorprogramm mit einem Filmchen für sich, doch das wird ihr wenig nützen: Den traditionellen Fianna-Fail-WählerInnen ist sie zu liberal, den Feministinnen und Linken ist die Partei viel zu rechts.

Die meisten politischen Parolen im Europawahlkampf sind ohnehin inhaltsleere Sprechblasen – „Für Dublin“, „Für eine starke Stimme in Europa“ und so weiter – oder dreiste Lügen. Pat Rabbitte, Kandidat der Demokratischen Linken, machte sich zu einer Figur der Weltliteratur: Er behauptete frech, er sei das Vorbild für seinen Namensvetter Jimmy Rabbitte in Roddy Doyles „Commitments“. John Stafford von Fianna Fail will dagegen auf der Welle des Erfolges der irischen Fußballmannschaft segeln. Auf dem Wahlplakat ist Stafford mit Trainer Jack Charlton ins Gespräch vertieft, auf Staffords Flugblättern wirft Charlton – als Cartoon – seinen Wahlschein mit einem Kreuzchen hinter Staffords Namen in die Wahlurne – das alles ohne Charltons Genehmigung, versteht sich. Kein Wunder, daß Experten mit einer Wahlbeteiligung von weit unter 50 Prozent rechnen.

Mein Kollege Cathal hält sich am Ausgang des Supermarktes in meinem Windschatten, um ungesehen an Orla Guerin vorbeizukommen. Das geht schief. „Wir kennen uns doch“, erkennt sie ihn freudestrahlend. „Übrigens: Wo ich auch hingehe, begegne ich deinem Vater.“

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