: Zweifach gebacken
■ "Überall und jederzeit": Das "E-plus"-Mobiltelefon ist da
„Bisher“, wird Herrn Krähe und mir in einer Pressemitteilung der Mobiltelefongesellschaft E- Plus unterstellt, „bisher dachten Sie vielleicht, Mobilfunk sei nur etwas für Banker, Börsianer, Business people“. Aber gar nicht! Derart eindimensionales Denken weisen wir aus tiefster Seele von uns; dachten wir vielmehr, Mobilfunk sei nur etwas für BMW-Fahrer und Barvenüs. Um aber kein Spielverderber zu sein, leisten wir der Einladung zur feierlichen Freischaltung des zweiten privaten Telefonnetzes Folge. Aufgrund unserer ebenso spontanen wie kurzfristigen Akkreditierung stehen wir abends vor dem Festzelt des Zirkus Roncalli und haben einige Probleme, die Einlaßkontrolle zu überwinden. Herr Krähe, der sich schlauerweise mit einer Krawatte geschmückt hatte, verschafft sich mit raumgreifenden Schritten Zutritt, während mir (Krawatte nach dem Abschlußball verlegt) der Sicherheitsmensch bedeutet, „da kann ja jeder kommen“. Kann aber im Prinzip auch, denn nachdem ich den Kampf mit fairen Mitteln für mich entschieden hatte, laufen uns im Zirkus nacheinander die Herren Schwarz-Schilling, Wolfgang Bötsch, Günther Jauch und Volker Kähne, Chef der Senatskanzlei Berlin, über den Weg. Außerdem jede Menge Banker und Börsianer, welche uns, die staunenden Besucher, die ihre Eintrittskarte ehrlich beim Gewinnspiel von Bild gewonnen haben, schon wieder sympathisch erscheinen lassen.
Alsbald beginnen Business people Reden zu halten und sich wechselseitig verbal auf die Schultern zu klopfen. Einziger Lichtblick bleibt dabei ein kurzes geistiges Aufbäumen Volker Kähnes. Bei der Kontrolle seines Redemanuskriptes haben wir festgestellt, daß Kähnes Referent zwar eine unauffällige, karmesindumme Ansprache zusammengetippt, aber die Ausformulierung der Begrüßung vergessen hat. Das Manuskript beginnt nämlich mit den Worten: „Anrede. – Berlin freut sich...“ Herr Krähe bedeutet mir seine Überzeugung, Kähne werde zur Begrüßung das Wort Anrede vorlesen, während ich mir fast sicher bin, daß er routiniert mit „'n Tach auch, in Berlin hier, dieser wunderschönen Stadt auf dem Erdapfel“ eröffnen wird.
Der Chef der Senatskanzlei wirkt am Mikrophon zwar etwas desorientiert, erkennt aber mit einem Blick die Brisanz seiner Situation, und als Redner Ciceronischer Schule entschärft er sie elegant: „Meine Herren, äh, meine, äh, Damen, jedenfalls die Verantwortlichen hier, Berlin freut sich...“
Wo Volker Kähne uns den Hanswurst macht, da gibt Günther Jauch als Moderator des Abends den dummen August. Alle unlauteren Wortspiele, die sich über Funktelefone machen lassen, bringt unser Berufsjugendlicher mit einer Routine vor, die selbst Fips Asmussen erstaunen würde. Und preist E-Plus-Handies mit einer Selbstverleugnung, die schon fast an Schizophrenie grenzt.
Ausgerechnet Mobiltelefone! Noch vor zwei Jahren war es kein großes Risiko, gegen die Echtheit jedes beliebigen Mobiltelefons zu wetten. Die Zahl der Attrappen, mit denen man nicht weiter telefonieren konnte als mit einem herkömmlichen doppelt gebackenen Mischbrot, war riesig. Angeber mit Autotelefonen wurden infolgedessen kollektiv als Attrappenbesitzer eingestuft und verlacht. Wenn Börsianer, BMW-Fahrer, Business people an der Ampel warteten und gewichtig den Hörer am Ohr hielten, mußten sie damit leben, daß im Kleinwagen nebenan gestandene Mittdreißiger sich nicht zu schade waren, in biologisch angebaute Bananen zu sprechen. Radfahrer wiesen dann spontan über schwarze Plastikluftpumpem hektisch gestikulierende Broker der Börse Frankfurt an, die Geldmenge M3 abzustoßen oder Aktienkurse zu stützen. Fußgänger an der Ampel redeten ohne Unterlaß in ihren Taschenschirm, dem Autotelefonbenutzer verständnisinnig zuzwinkernd.
Dann verfielen die Gerätepreise. Die Front der Mobiltelefongegner bröckelte ab, und plötzlich befanden sich unheimlich viele echte Apparate im Umlauf. Vor dem fiesen, Anrufe signalisierenden Quäken war man nirgends mehr sicher: nicht in Hackbarths Bar, nicht in der U-Bahn, weder im Konzert noch im Londoner Adelphi-Theater. Dieses Theater mußte im letzten Jahr sogar eine Uraufführung um zwei Wochen verschieben. Immer wenn jemand in der Umgebung des Hauses ein Funktelefon gebrauchte, verschoben sich, wie von Geisterhand bewegt, die vier Tonnen schweren Kulissen des Theaters.
Und jetzt kommt E-Plus daher und will die Zahl der Funktelefone auf zehn Millionen steigern. Was folgt, ist klar: Wir alle sind ständig erreichbar, machen daher Karriere und werden BMW-fahrende Barvenüs. Wir sterben früh an Streß. Vorher fällt ständig das Theater aus, man muß zu Hause bleiben und „Stern-TV“ schauen. Kein Wunder also, daß Günther Jauch bis zum Hals in der Sache steckt! Martin Sonneborn
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