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Aus allerschwärzestem Herzen

Die neue Info-Elite kriegt, was sie verdient: ein bißchen Skandal, Spaß, Statistik – und den rechten Glauben. Eine weitere Lieferung über das illustrierte Magazin „Focus“  ■ von Willi Winkler

Es ist zwar, wie alles in alten Romanen, schon etwas länger her, aber dann auch wieder verblüffend zeitgenössisch, geradezu klassisch von heute. „Das Blatt“, erklärt der Verleger einem Literaten, „das Blatt soll für die Viertelgebildeten bestimmt sein, das heißt für jene große neue Generation, die die heutigen Schulen hervorbringen, für jene jungen Männer und Frauen, die wohl lesen können, aber zu jeder länger anhaltenden Aufmerksamkeit unfähig sind. Leute dieser Art“, setzt der Verleger seine Beschreibung der Zielgruppe fort, „brauchen eine Beschäftigung in der Eisenbahn, im Omnibus oder in der Trambahn. Sie wollen das leichteste, luftigste Geplauder – ein bißchen Erzählung, ein bißchen Beschreibung, ein bißchen Skandal, ein bißchen Spaß, ein bißchen Statistik, ein bißchen Narretei. Alles muß kurz sein“, verlangt der Verleger, „höchstens zwei Zoll lang“, kurz und auf den Punkt, denn „ihre Aufmerksamkeit läßt sich nicht länger als zwei Zoll fesseln“. Zwei Zoll, das sind ungefähr fünf Zentimeter. „Geplauder ist für sie noch zu solid, sie wollen Schnickschnack.“

Die Angaben in Zoll sind natürlich verräterisch, aber sonst hat George Gissing bereits vor hundert Jahren eine präzise Beschreibung jenes Publikums geliefert, das die neuen Magazine lesen soll: Focus, Die Woche, demnächst Focus 2, Feuer (?), news, Tango (??). Die „Viertelgebildeten“ in dem Roman „Zeilengeld“ von 1891 heißen heute „Info-Elite“, ihr Schnickschnack-Medium ist Focus. Der Chefredakteur Helmut Markwort will damit alle erreichen, die viel verdienen, eine gewisse Ausbildung genossen haben und ansonsten durchs Fernsehen sozialisiert sind; eben die Info- Elite. Bisher mußte diese Elite darben, wurde mit Zeitungen und Zeitschriften überfordert oder schnöde übergangen, irrte unverstanden durch die Welt, denn nichts war wie das Fernsehen. Diese Not hat jetzt ein Ende.

Zur allgemeinen Überraschung hat Focus schon nach einem Jahr eine halbe Million Auflage erreicht, der Spiegel, bisher das einzige deutsche Nachrichtenmagazin, steht plötzlich nicht mehr allein da, sondern wird bedroht. Dieser Erfolg macht gierig; ständig werden neue Info-Blätter gegründet. Das Ende des Gutenberg- Zeitalters, das jahrelang mit kulturkritischen Mahnwachen begangen wurde, läßt noch ein Weilchen auf sich warten.

Die Info-Elite jedenfalls findet bei Focus Verständnis und eine Heimat. So bunt, ereignisreich und schnell war die Welt vorher nicht. Die Texte halten sich, wenn sie die Grafiken und Bilder umschmeicheln, weitgehend an den Gissingschen Zollstock, sind sprachlich zum Gotterbarmen, aber im Einklang mit den anderen Vorgaben: ein bißchen Statistik, Klatsch, Geplauder, aber alles leicht und luftig, alles in Farbe. Das kann der Spiegel noch nicht. Da wird an Farbe gespart, die Geschichten sind länger, sie haben meist einen Anfang und einen Schluß, und sie sind verläßlich.

Es spricht nämlich einiges dafür, daß die Produzenten von Focus nicht etwa den Verstand ihrer LeserInnen, der erwähnten Info- Elite, zu bescheiden ansetzen, sondern eher den eigenen überschätzen. In einem Bericht der Süddeutschen Zeitung (17. Dezember 1993) über eine Pariser Buchhandlung mit rechtsradikalem Schriftgut malte sich der Autor aus, was die Weltpresse wohl dazu sagen würde, wenn François Mitterrand, bekannt als weltabgewandt und büchernärrisch, eines Tages aus Versehen in diese Buchhandlung geriete. Nicht auszudenken, „ein Alptraum“!

Die Weltpresse sagte natürlich nichts dazu, weil Mitterrand diese Buchhandlung bis heute nicht aufgesucht hat. Aber drei Tage nach dem Erscheinen dieser Phantasie empörte sich Focus über einen Mitterrand, der sich „in Pariser Rechtsradikalen-Buchhandlung verirrte“. Focus klaut also nicht nur, sondern läßt sich noch dabei erwischen, weil man sich jede uneigentliche Rede verboten hat. Der Leser, besagte Info-Elite, darf in keinem Fall durch Ironie überfordert werden, das könnte ihn beleidigen, und dann würde er Focus womöglich nicht mehr liebhaben.

Andererseits lohnt es sich nicht, lang und breit Klage darüber zu führen, daß die Artikel in Focus so schlecht bis gar nicht geschrieben sind; schließlich ist Focus für Leute gedacht und gemacht, die nicht lesen können. Der Analphabet, das wissen wir aus einfühlsamen Reportagen, lebt mit hoher Dunkelziffer, aber ansonsten mitten unter uns und immer in der Angst vor sozialer Stigmatisierung. Immer fürchtet er die Entdeckung, rettet sich, wenn Gefahr droht, in lächerliche Ausreden, daß er leider wieder seine Brille vergessen habe und ob man ihm nicht vielleicht behilflich sein könne.

Die Angst ist jetzt gebannt. Bei Focus ist es mit der schändlichen Ausgrenzung dieser Minderheit vorbei. Zahlen, Daten, Grafiken und Farben! Vor allem Farben entlasten und geleiten den bedauernswerten Behinderten durchs Blatt. Ein Schaubild sagt bekanntlich mehr als tausend Worte, vor allem dem Analphabeten.

Helmut Markwort träumt von einem neuen Berufstyp im Journalismus, dem „Visualisierer“, der das noch verstärkt, was Focus erfolgreich betreibt, den Gute-Laune-Journalismus, die Entpolitisierung der Politik. Ganz politikfrei geht es dennoch nicht, auch Markwort (FDP, bei einer Stadtratskandidatur in München nicht weit gekommen) hat so seine Präferenzen. Zum Beispiel macht er gern den Anwalt seiner Elite, „deren Steuer auf Mark und Pfennig an jedem Letzten einbehalten wird“. Focus kann da mit einen umgedrehten Sozialneid pflegen, wenn er um Mitleid für die armen Reichen fleht, denen der Staat den letzten Steuergroschen aus der Tasche ziehen will.

Die Titelgeschichte „Jagd auf Besserverdiener“ beginnt mit einer der beliebten Grafiken, diesmal zur Steuerlast, aber weil man selbst als Info-Elite diese Grafik nicht ohne weiteres versteht, wird sie mit einer „Lesehilfe“ erläutert. Soviel tätige Nächstenliebe ist in unserer hektischen, kaltherzigen Zeit selten geworden. Obwohl oft gerade die freundlichen, hilfsbereiten Nachbarn die geschicktesten Betrüger sind, wie man aus einschlägigen Sendungen im Fernsehen weiß: Behauptet die Focus- Statistik doch, fünf Prozent mit dem höchsten Einkommen würden 39,5 Prozent des Einkommensteueraufkommens erbringen, 50 Prozent mit dem niedrigsten Einkommen aber nur 9,5 Prozent, was schon richtig ist, wenn die Aufmachung die Nicht-Leser nicht arglistig täuschen würde. Schließlich weiß jeder Leser des Wirtschaftsteils einer normalen Tageszeitung, daß die Einkommensteuer im Gesamtsteueraufkommen erst weit hinter der Lohnsteuer und der Mehrwertsteuer kommt; die bösen 50 Prozent, die von der Info-Elite durchgefüttert werden müssen, zahlen ihrerseits Lohn- und Mehrwertsteuer.

Wahrscheinlich waren die Redakteure selber so begeistert von dieser Zahlenmagie – fünf Prozent (die Info-Elite) blechen 40 Prozent (Skandal!!) aller Steuern –, daß sie ihrer eigenen Statistik glaubten und diese Zahl drei Wochen später bei einem Gespräch mit Rudolf Scharping recycelten. In diesem Gespräch, das offenbar in einem regelrechten Zahlenrausch geführt wurde, darf Scharping unwidersprochen behaupten, es sei kein Ende „des notwendigen jährlichen Transfers von zirka 16 Milliarden Mark nach Ostdeutschland abzusehen“, was blühender Unsinn ist, weil es mindestens das Zehnfache sein dürfte. Eine Dokumentationsabteilung, wie sie jedenfalls der Spiegel besitzt, hätte diese Zahl überprüft.

So genau muß es bei Focus aber

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nicht zugehen. Wichtig ist, daß die Unternehmer freundlich verhandelt werden. Das freut die werbetreibende Wirtschaft, weil sie endlich nicht mehr angegriffen wird. Wenn es doch mal sein muß, wenn, wie im Berichtsmonat April, der Bauunternehmer Jürgen Schneider nach Anhäufung von Milliardenschulden mit ein paar Millionen das Land verläßt und die Deutsche Bahnk blamiert, ziehen die Wirtschaftsredakteure gleich den Frack an und tragen Trauer: „Eine deutsche Tragödie“ nennen sie die Umstände, unter denen ein Gauner („Der Frankfurter Felix Krull“) die Banken geleimt hat. Weil Focus eher die kleineren Unternehmer im Blick hat, darf ausnahmsweise ein wenig an der Deutschen Bank, Schneiders Hauptgläubiger, gezweifelt werden, aber, bittschön, mit der nötigen Delikatesse.

Auf der Titelseite wird noch großartig versprochen: „Bei der Deutschen Bank rollen die Köpfe“ (Indikativ, Präsens, Plural), zum Ende der Geschichte muß jemand diese Titelzeile eingefallen sein, aus der am Bildschirm die kegelbrüderliche Formulierung „Ums Köpferollen wird die Deutsche Bank nicht mehr herumkommen“ wird, bis der republikanische Aufstand schließlich in der Vermutung ausklingt, das Vorstandsmitglied Ulrich Weiss könnte geopfert werden (Konjunktiv, Futur, Singular). Ist eh alles eins: Die einen zerspellen an der Grammatik, die anderen an Nelson Mandela: „An seinem tiefen menschlichen Lächeln scheitern am Ende die meisten seiner Widersacher.“ Focus scheitert zwar häufig an der deutsche Sprache, aber ein Widersacher ist Focus nicht, woher denn.

Der Spiegel äußert grundsätzlich den ehrabschneidenden Verdacht, daß die Industrie (die chemische zumal, die Atomindustrie erst recht) notfalls über Leichen geht; daß Politiker, Gewerkschafter, Verbandsfunktionäre korrupt sind; oft genug behält er recht damit.

Focus liebt das Untergriffige, das schmutzige Geschäft des Journalismus nicht, sondern hält es lieber mit den Mächtigen. Ist ja auch besser für uns alle, weil unbehindert wirtschaftende Politiker für gute Rahmenbedingungen sorgen, in denen die Wirtschaft ... Industriestandort Deutschland ... Lohnstückkosten und überhaupt. Die Gauweiler-Affäre kam in Focus lieber kaum vor (schließlich ist der gute Peter auch Focus-Gastautor und durfte der Info-Elite die dunklen Sprüche von Botho Strauß ausdeutschen), und zu den Zwick- Enthüllungen über Strauß und die CSU wurden die CSU-Würdenträger Erwin Huber und Georg von Waldenfels befragt.

Focus ist nicht negativ, sondern eine Zeitschrift für die ganze Familie. Anders der Spiegel, und das strengt an. Man könnte auch sagen, daß der Leser überfordert wird, dem Politiker nur immer im Hemde präsentiert werden. Sollen sich doch andere darum kümmern, nicht jeder Leser will ständig daran erinnert werden, daß die Welt schlecht und Demokratie schwer ist.

Im Eifer gegen die Aufklärungsbemühungen beispielsweise der Süddeutschen wird Focus sogar ein ganz klein wenig verbissen und macht der Zeitung einen Vorwurf, der von Wilfried Scharnagl stammt, dem Chefredakteur des Bayernkurier, einer Zeitung, mit der sich Dr. Zwick, derzeit Lugano, aufs innigste zum Behufe des gemeinschaftlichen Steuerbetrugs verabredete: Die Süddeutsche sei nämlich ein „linkes Kampfblatt“.

Ein „Kampfblatt“ und gar ein linkes, das ahnt auch die info-elitäre Leserschaft von Focus, das ist ganz, ganz schlimm, das wird Focus ganz bestimmt nicht werden, Ehrenwort. Schließlich ginge man dann der hübschen Insider-Informationen aus dem schwärzesten Herzen der CSU verlustig, daß beispielsweise entgegen der Vermutung der erwähnten Süddeutschen Zeitung Frau Monika Hohlmeier, geb. Strauß, aus Vaterstetten, Herrn Alexander Schalck-Golodkowski, zur Zeit Rottach-Egern, nicht für den ADAC geworben und dafür auch keine Aktentasche als Werbeprämie in Empfang genommen hat.

Der moderne Journalismus, dem der Spiegel keineswegs abhold, Focus aber ausschließlich zugetan ist, übt sich in einer aufgepeppten Form von Feuerwehrfestberichterstattung. Nichts ist offenbar schöner, als mit am Tisch der Honoratioren sitzen zu dürfen. Von da oben sieht die Welt ganz anders, vor allem nicht so negativ aus. Und wer erst einmal so entspannt in die Welt blickt, fährt auch die Anzeigen ein. Das nennt man dann Marktwirtschaft.

„Neidvoll blicken die neuen deutschen Parteien nach Italien, wo dem Medienbesitzer Silvio Berlusconi eine perfekte Selbstinszenierung in seinen eigenen Medien gelang“, schreibt Markwort in einem seiner Chef-Tagebücher. „Bei uns dürfen neue Parteien vor Wahlen nicht einmal an den Katzentisch.“ Da ist man selber Medienbesitzer, hat eine erfolgreiche Zeitung, dazu die Info-Elite, aber immer noch nichts zu sagen. Eine deutsche Tragödie.

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