piwik no script img

Machen Sie bitte sechzigmal Ihr Kreuzchen!

■ Rheinland-Pfalz vor den Kommunalwahlen: Neues „differenziertes Wahlsystem“ sorgt für Verwirrung / Entscheidung fällt an den „ökologischen Brennpunkten“

Frankfurt/Main (taz) – Dem Innenminister von Rheinland-Pfalz, Walter Zuber (SPD), ist im Vorfeld der Kommunalwahlen im Ländle von Kohl und Scharping am 12. Juni nicht ganz wohl in seiner Haut. Ihn plagt die Sorge um das neu eingeführte „differenzierte Wahlsystem“. Und ihn plagt die nicht ganz unbegründete Angst, daß die Bürgerinnen und Bürger zwischen Mosel und Rhein, dem Pfälzer Wald und der Industriestadt Ludwigshafen am kommenden Sonntag diesem Wahlsystem hilflos gegenüberstehen könnten. Daher startete Zuber schon im April eine landesweite Aufklärungskampagne.

Von 8 Uhr bis 18 Uhr darf nämlich auf den Kommunalwahllisten kummuliert und panaschiert werden. So müssen sich etwa die 131.000 wahlberechtigten MainzerInnen mit einer ellenlangen KandidatInnenliste auseinandersetzen und quer durch alle Listen der Parteien sechzig Namen ankreuzen. So viele Sitze sind für das Stadtparlament in Mainz zu vergeben. So kann die Wahl für Wähler und Wählerinnen, aber auch für die Wahlhelfer, die wegen der gleichzeitig stattfindenden Europawahlen eh eine Nachtschicht einlegen müssen, tatsächlich zur Qual werden.

Wer in diesen Wahlkampftagen durch Mainz läuft, fühlt sich vor allem von den beiden großen Parteien im Stich gelassen. Die Wahlwerbung von CDU und SPD konzentriert sich auf die AutofahrerInnen: Während die CDU verspricht, den alltäglichen Autoschlangen auf den Einfallstraßen in die City durch die Schaffung von noch mehr Parkhäusern und Parkplätzen ein zügiges Fortkommen zu garantieren, fahren diejenigen, die das Auto endlich abgemeldet haben, mit der SPD in Bussen und Straßenbahnen „zügig am Stau vorbei“. Die Bündnisgrünen in Mainz kümmern sich vor allem um die Jugendlichen und die Frauen. Geradezu stolz ist man beim Landesvorstand auf eine Großveranstaltung gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit in der Nacht zum Fronleichnamstag, zu der 15.000 Jugendliche kamen. Glaubt man den Auguren, dann steht der FDP landesweit das Wasser bis zum Hals. Mit nur 5,8 Prozent hatten die Liberalen 1989 gerade eben die Fünfprozenthürde gemeistert. Die Bündnisgrünen (1989: 7,3 Prozent) peilen dagegen erstmals ein zweistelliges Wahlergebnis an. Sie setzten dabei auf die BürgerInnen im Wein- und Rübenanbaugebiet Rheinhessen, die sich seit Monaten kollektiv gegen eine von der SPD/FDP-Landesregierung im Kreis Alzey geplante Sondermülldeponie zur Wehr setzen. Im Großraum Alzey schlägt Scharping und seiner Umweltministerin Martini denn auch der geballte Zorn der Bürgermeister und Gemeindeparlamentarier (fast) aller Parteien entgegen. Bernhard Braun, Pressereferent beim Landesvorstand der Bündnisgrünen, glaubt denn auch fest daran, daß die Kommunalwahlen diesmal an den „ökologischen Brennpunkten“ entschieden würden. Zusammen mit den BürgerInnen stehen sie auch in der Industrieregion Ludwigshafen einsam im Abwehrkampf gegen eine neue Müllverbrennungsanlage.

Die rechtsradikalen Parteien haben es nicht geschafft, flächendeckend zu den Kommunalwahlen anzutreten. Die Reps konzentrierten sich auf die Landesteile, in denen es in den letzten zwei Jahren immer wieder zu ausländerfeindlichen Ausschreitungen und Aufmärschen neonazistischer Gruppen kam: Rheinhessen und Vorder- und Westpfalz. Im Landkreis Südliche Weinstraße will die NDP in den Kreistag. Michael Henke, Landtagsabgeordneter der Bündnisgrünen, forderte deshalb Ende Mai die Einrichtung eines runden Tisches zur Bekämpfung des Rechtsradikalismus – bislang ohne Resonanz bei den Altparteien. Klaus-Peter Klingelschmitt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen