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„Farbe erkennen“ und „Farbe bekennen“

■ Wieder zwei Lesben- und Schwulendemos zum Christopher Street Day

Es wird also wieder zwei Berliner Lesben- und Schwulendemos zum Christopher Street Day (CSD) geben, allen Versöhnungsbemühungen und Sternmarschüberlegungen zum Trotz. Das „Aktionsbündnis Internationaler CSD“, das unter anderem von den PDS-Schwulen der AHA, der jüdischen Homo-Gruppe L'Chaim, dem Frauenbuchladen Lilith und SOS Rassismus unterstützt wird, ruft am 18. Juni um 11 Uhr zur Demo am Leopoldplatz auf. Der Umzug unter dem Motto „Vorwärts immer, rückwärts nimmer – Farbe erkennen!“ wird von der Lesben-Motorradgruppe „Dikes on bikes“ angeführt, führt durch das Scheunenviertel zum Rosa-Luxemburg-Platz, wo ein Straßenfest geplant ist. Am selben Tag zur gleichen Zeit startet die Parade des realpolitischen „CSD Berlin-Brandenburg '94“ am Adenauerplatz. Sie wird unter anderem von Mann- O-Meter und dem Schwulenverband in Deutschland (SVD) veranstaltet, trägt das Motto „Farbe bekennen – 25 Jahre Kampf für gleiche Rechte“ und führt zum Roten Rathaus. Beide Veranstalter rechnen mit über 10.000 TeilnehmerInnen.

Die politischen Ansätze sind unterschiedlich: Bezieht sich der „CSD Berlin-Brandenburg '94“ auf das verbindende Element der Homosexualität, deren Lebensweisenvielfalt von der lesbischen Punkerin bis zum schwulen Banker demonstriert werden soll, sieht das Aktionsbündnis seinen Ansatz im Kampf gegen jede Form von Ausgrenzung. Als linke Lesben und Schwule solidarisieren sie sich lieber mit heterosexuellen Flüchtlingen als mit dem homosexuellen Bundeswehrgeneral.

Dem alten Streit gab in diesem Jahr eine von SVD und Schwusos während der Realo-Parade geplante Kranzniederlegung vor der Neuen Wache Auftrieb, mit der der homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus gedacht werden soll. „Wir finden es unerträglich, das Lesben und Schwule (...) an einem Ort gedenken sollen, der gleichermaßen die Schlächter und Schergen des NS-Staates wie deren ungezählte Opfer ehrt“, kritisiert das Aktionsbündnis. Als Gegenaktion will es am jüdischen Mahnmal in der Großen Hamburger Straße eine Schweigeminute einlegen. Paraden-Organisator Bastian Finke dagegen verweist auf die schlichtende Tafel vor der Neuen Wache, die explizit die homosexuellen NS-Opfer erwähnt.

Für die internationalen Kamerateams hat sich Finke eine andere Aktion ausgedacht: Durch das Brandenburger Tor sollen nahezu 200 Sonnenschirme aufgestellt werden, die von oben betrachtet wie ein großer Regenbogen aussehen. Die Aktion soll zum einen die Solidarität mit HIV-Positiven und Aids-Kranken demonstrieren, aber auch die lesbisch-schwule Vielfalt ausdrücken. Auf die Abschlußkundgebung vor dem Roten Rathaus dürften sich die lesbisch- schwulen BriefmarkensammlerInnen freuen: Dort wird es erstmals einen CSD-Sonderstempel der Bundespost geben.

Den Schock der Festivalpleite im letzten Jahr noch in den Knochen, verzichtet der „CSD Berlin- Brandenburg '94“ auf eine eigene Party am Abend; die Parade soll sich allein über den Verkauf von Sekt und Sonnenschirmen finanzieren. Das Aktionsbündnis dagegen feiert erneut im Tempodrom und in der Kulturbrauerei.

Auch der Senat hat sich bereits mit dem CSD beschäftigt. Weniger aus Sorge um die Spaltung der Lesben und Schwulen als um die am selben Tag geplante Abschiedsparade für die Alliierten. Die Senatskanzlei hatte schlicht vergessen, bei der Polizei anzufragen, ob an diesem Tag ein anderes Großereignis stattfindet. Entgegen anderslautenden Gerüchten werden sich beide Aufmärsche jedoch nicht kreuzen. Micha Schulze

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